Katharina Schulze

Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag

Bundestagswahl

Zukunft wird aus Mut gemacht.

25. September 2017 in Im Parlament, Unterwegs |

Puh. Am Sonntag war Bundestagswahl. Das Positive: Wir Grünen haben im Bund 8,9%, in Bayern 9,8% und in München sogar 17,2% (und sind damit zweitstärkste Kraft!!) geholt. Wir bayerische Grünen schicken jetzt elf Bundestagsabgeordnete nach Berlin, zwei mehr als letztes Mal! Das freut mich total!

Grüne werden gebraucht

Gerade in einer Zeit, in der die Einen uns Grünen schon unter 5% gesehen, die Anderen dauernd davon gesprochen haben, dass unsere Themen doch eh angeblich niemand interessieren und die Dritten uns am liebsten an einem Baum gehängt hätten, ist das ein gutes Ergebnis! Klimaschutz, Gerechtigkeit, Weltoffenheit – das sind die großen Zukunftsfragen und wir benennen und diskutieren sie, voller Leidenschaft und Verantwortungsbewusstsein für unsere Erde und unsere Demokratie.

Herzlichen Dank für Euren Einsatz

Und genau dies haben wir im Wahlkampf gemacht. Ich war in ganz Bayern unterwegs und überall wurden Grüne Vorschläge diskutiert: Klimaschutz, giftfreie Landwirtschaft, Umstieg auf grüne Energien, gesunde Lebensmittel, umweltfreundlicher Verkehr, Stärkung Europas, ein Land der gleichen Chancen für alle Kinder, mehr Investitionen in Kitas, Schulen und Hochschulen, eine echte Gleichberechtigung von Frauen und Männern, kluge Integrationspolitik und effektive Sicherheitspolitik – über all das und noch viel mehr haben die BundestagskandidatInnen und die Grünen vor Ort mit den Menschen gesprochen.

Und deswegen geht das große Dankeschön an die vielen Ehrenamtlichen, die stundenlang an Infoständen standen, Haustürwahlkampf machten, Plakate klebten, Veranstaltungen organisierten und Material von A nach B gefahren, den Wahlkampf vor Ort organisiert und um jede Stimme für Grün gekämpft haben. Ohne euch würden wir als Partei keinen Stich machen. Das ist Demokratie, politische Willensbildung und einfach nur großartig! Das Wahlergebnis haben wir also unserem gemeinsamen geschlossenen Einsatz für Vielfalt, Weltoffenheit und unserer Umwelt – und unserem Spitzenduo, die einen großartigen Job gemacht haben – zu verdanken.

Und nun? Jamaika?

Dennoch: Wir sind nicht die dritte Kraft geworden, obwohl wir das wollten. Das schmerzt, gerade bei einem Blick darauf, wer vor uns gelandet ist. Um so wichtiger ist es, dass wir eine starke grüne Stimme im Bundestag sind – diese braucht es heute mehr denn je fürs Klima, für Gerechtigkeit und für Weltoffenheit! Wir haben vor der Wahl gesagt, dass wir bereit sind Verantwortung für unser Land zu übernehmen und mit allen Parteien außer der AfD zu sprechen. Das gilt weiterhin. Das betrachte ich auch als unsere demokratische Pflicht. Es ist auch klar, dass Deutschland sich keine weiteren vier Jahre Stillstand leisten kann. Doch die Hürden für eine Zusammenarbeit mit CSU, CDU und FDP sind sehr hoch. Es werden also interessante und nervenaufreibende Wochen – und am Ende entscheiden die Inhalte. Um so wichtiger ist, es Ruhe zu bewahren und vernünftige Entscheidungen zu treffen. Bei einer Sache kann ich jedoch nicht Ruhe bewahren:

Die AfD ist im Bundestag angekommen

Zum ersten Mal seit 1945 sitzt eine rechtsextreme Partei im Deutschen Bundestag. Sie ist drittstärkste Kraft geworden, in Sachsen sogar stärkste Partei und in Bayern hat sie das beste Ergebnis in allen westdeutschen Bundesländern geholt. Das ist nicht normal. Das verändert unser Land. Es sind ja nicht nur 94 Abgeordnete – Rechtspopulisten und harte Nazis – sondern auch schätzungsweise über 350 FaschistInnen werden als MitarbeiterInnen mit Hausausweis im Bundestag tätig sein. Was das an Ressourcen und Mittel bedeutet, kann sich jeder vorstellen.

Was bedeutet das jetzt für uns alle?

Diese Fragen stellen sich nach der Wahl viele und haben sich auch schon vor der Wahl viele gestellt. Sowohl „die Politik“ als auch jedeR einzelne kann etwas tun.

1) Gute, vernünftige Politik machen. Das muss nicht wegen dem Erstarken der Rechten geschehen, sondern weil es unsere Gesellschaft braucht. Die Digitalisierung verändert unsere Welt so grundlegend wie die industrielle Revolution vor 150 Jahren. Auch die Globalisierung hat unser Zusammenleben verändert – und der Klimawandel wird es noch weiter tun. Manche sind vielleicht überfordert, wie sich unsere Welt entwickelt hat: der Wegfall von Autoritäten und Hierarchien, vor der neuen Offenheit, Vielfalt und Transparenz einer digitalen Gesellschaft. Darüber gehört diskutiert, darüber gehört gestritten, da müssen wir Lösungen umsetzen, so dass Menschen befähigt werden, sich selbst zu helfen – und denen geholfen wird, die Unterstützung brauchen. Dafür braucht es eine Politik des Mitmachens und Mitbestimmens, denn nur gemeinsam entwickeln wir unsere Gesellschaft weiter.

2) Das Problem heißt Rassismus. Und das muss man auch so benennen. Der Rechtsruck ist ja nicht erst seit dem Wahlabend da. Rechtsextreme Straf- und Gewalttaten steigen seit Jahren, rechtsextreme Einstellungen sind bis weit in der „sogenannten Mitte der Gesellschaft“ verankert. Der Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit muss intensiviert werden. Ich erwarte, dass die CSU in Bayern endlich unserem Antragspaket zur Weiterentwicklung des Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus zustimmt, mehr Geld für Demokratie- und Medienbildung ausgibt, die Zivilgesellschaft unterstützt und der Fahndung- und Ermittlungsruck auf die rechte Szene endlich verstärkt wird.

3) Anstatt Rückschritt: Fortschritt! Wir haben nicht nur einen Rechtsruck sondern einen allgemeinen Rollback. Das darf in der Diskussion nicht untergehen. Die AfD finden die Gleichberechtigung überbewertet, den Klimawandel leugnen sie und Europa lehnen sie ab. All das was unsere freiheitliche demokratische Republik ausmacht ist ihnen ein Dorn im Augen. Darüberhinaus nehmen die Rücksichts- und Respektlosigkeit zu. Wir brauchen lebenslange Demokratiebildung, müssen unsere Verfassung schützen, konstruktiv über Europa diskutieren, echte Lösungen für Klimaschutz durchsetzen und brauchen eine emanzipatorische und feministische Politik.

4) Die Menschen unterstützen, die von der Hetze direkt betroffen sind. Ja, das sind nämlich viele: Person of Colour, LGBTI, Geflüchtete, Jüdinnen und Juden, Muslima und Muslime, Frauen etc. Lasst uns mehr mit ihnen reden und über sie berichten, anstatt die Täter ständig zu Wort kommen zu lassen. (Das gilt übrigens auch für die JournalistInnen). Und ich erwarte, das die CSU in Bayern endlich unserer Forderung nach einer Beratungsstelle für Opfer von rechter und rassistischer Gewalt nachkommt, eine Antidiskriminierungsstelle und eine Koordinierungsstelle Demokratie einrichtet.

5) Haltung zeigen, statt am rechten Rand fischen. Das Ergebnis in Bayern spricht Bände: Die CSU wurde abgewatscht. Ich habe schon in meiner Rede im Landtag im Januar 2016 gesagt, dass selber Hetzen nichts bringt, die Menschen wählen dann im Zweifel halt doch das Original. Gegen Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus hilft es nicht, auch ein bisschen Rechts zu sein. Da hilft nur klare Kante, Abgrenzung und kein Surfen auf der rechten Welle. Wir werden im Bayerischen Landtag genau beobachten, wie die CSU sich verhält – und uns weiterhin entschieden gegen einen Rechtsruck stemmen.

So, das waren die Punkte für die politischen Akteure. Aber was kann jedeR Einzelne tun?

1) Zivilcourage und Solidarität zeigen. Das Problem wird sein, dass die ganzen Hasser, Hetzer und Nazis sich jetzt noch mehr bestärkt fühlen. Es liegt also an uns, ihnen ein Stop-Schild hinzuhalten. Ihr seht, dass jemand in der Bahn beleidigt oder bepöbelt wird? Aufstehen und dagegenhalten. Ihr bekommt mit, wie eine Arbeitskollegin angegangen wird? Aufstehen und dagegenhalten. Im Freundeskreis mehren sich die „Ich bin ja kein Rassist, aber…“-Sprüche? Aufstehen und dagegen halten! Im Netz wird gehetzt ohne Ende – aufstehen und dagegenhalten, Screenshot machen und Anzeige erstellen.

2) Ihr seid entsetzt und wütend und findet alles ganz schrecklich? Engagiert euch. Die unpolitische Zeit ist vorbei. Tretet in den demokratischen Parteien ein, engagiert euch vor Ort. Setzt euch für Gleichberechtigung, Klimaschutz, ein solidarisches Miteinader ein. Diskutieren wir darüber, wie wir die Digitalsierung gestalten, die Integration zum Erfolg führen, das Zusammenleben in einer globalen Gesellschaft organisieren, unsere natürlichen Lebensgrundlagen schützen und, und, und. Zukunft wird nicht besser wenn man nur warten. Sie wird dann gut, wenn man sie gestaltet. Ändere die Welt, denn sie braucht es. Klingt abgedroschen, stimmt aber.

3) Erinnert. Erinnert an Christoph Probst, Sophie Scholl und die anderen WiderstandskämpferInnen. Feiert am 8. Mai die Befreiung Deutschlands von der Nazidiktatur. Erinnert euch an die Millionen Jüdinnen und Juden, die durch den Naziterror getötet worden sind. Hört den wenigen Überlebenden zu und tragt deren Erlebnisse weiter. Es ist unsere Pflicht und Aufgabe, dass diese Gräueltaten nie vergessen werden und vor allem, dass sie nie wieder passieren.

Und zu guter Letzt: Immer dran denken: 87% haben die AfD nicht gewählt. Wir sind mehr. Und gemeinsam auch stärker. Also, schließen wir uns zusammen und stehen ein für Weltoffenheit, Solidarität, Gleichberechtigung und ein buntes Land. Genau das sind wir nämlich auch.

Und was vor der Bundestagswahl galt, gilt jetzt noch viel mehr: Zukunft wird aus Mut gemacht!