Katharina Schulze

Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag

Meinung

Wir müssen gemeinsam die Corona-Verschwörungsmythen bekämpfen

8. Mai 2020 in Im Parlament |

Am Anfang habe ich nur müde den Kopf geschüttelt, dann mich geärgert und mittlerweile frage ich mich: Was ist da kaputt? Ich lese und höre in letzter Zeit immer wieder; dass es eine „Machtübernahme des Gesundheits- und Pharmakonzernministeriums!!!!“ gibt, eine „Gleichschaltung der Presse“ bestünde und dass wir unter einem „Notstands-Regime!!!“ leben würden. Das Parlament habe angeblich seiner eigenen Entmachtung zugestimmt – und wir würden jetzt in einer „Virus-Diktatur“ leben. Krude Thesen, die falsch sind.

Wir leben in einer Demokratie

Um mal eines klarzustellen: Wir leben in Deutschland in einer Demokratie, unsere Parlamente arbeiten und erfüllen ihre parlamentarische Kontrollfunktion. Ich habe da interne Quellen, ich bin nämlich Landtagsabgeordnete und saß erst diese Woche wieder im Maximilianeum und habe über Anträge und Gesetze abgestimmt.

Unsere Presse ist weiterhin frei und niemand hat das Recht sie körperlich oder verbal anzugreifen, wie erst bei einer Demo in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen diese Woche wieder passiert. Verharmlosungen der Verbrechen des NS-Regimes durch Vergleiche mit dem Nationalsozialismus und dem Gerede von einer „Corona-Diktatur“ oder gar „Corona-Faschismus“ verbieten sich – ich finde das 75 Jahre nach Kriegsende unmöglich.

Ich frage mich, wie es dazu kommen konnte, dass ich solche Selbstverständlichkeiten schreiben muss. Aber die Zeiten sind ernst – und Verschwörungsmythen nehmen immer mehr zu.  – Katharina Schulze

Unsichere Zeiten begünstigen Verschwörungsmythen

Jetzt mag man einwenden, dass es solche Verschwörungsmythen doch schon immer gab. Das ist richtig. In einfachen und allerklärenden Mustern suchten Menschen Orientierung und Halt. In unsicheren Zeiten haben diese Mythen natürlich erst recht Hochkonjunktur. Und jetzt ist eine unsichere Zeit: Wir haben eine Pandemie, unser Leben hat sich stark verändert, wir wissen vieles noch nicht über das Virus.

Unsicherheiten auszuhalten fällt vielen Menschen schwer und ist auch nicht leicht. Vermeintlich einfache Antworten und Erklärungen, die die eigene Weltsicht bestätigen, helfen bei der Strukturierung, geben Orientierung und lassen dich teilhaben an einer Gruppe. Das darf aber nicht als Ausrede oder Entschuldigung gelten – es liegt in der Eigenverantwortung von jedem, sich nicht vor den rechtsextremen oder antisemitischen Karren spannen zu lassen.

Verschwörungsmythen von rechter Szene schon länger propagiert

Wir hören und lesen jetzt vieles, was  neu-rechte Bewegungen der vergangenen Jahre schon länger propagieren: pauschale Medienschelte („Lügenpresse“), Impfkritik, Manipulationsmythen, Zensurvorwürfe und vermeintliche Verbote seine Meinung offen zu äußern. Die Frontstellung ist aus verschiedenen gesellschaftlichen Konflikten aus der jüngsten Zeit bekannt: Ein homogen gedachtes Volk steht einer vermeintlich korrupten und autoritär agierenden Elite gegenüber. Durch die mit der Corona-Krise verbundenen Verunsicherungen werden solche keineswegs neuen Vorstellungen anschlussfähiger in der Gesellschaft – und die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft droht. Das ist ein enormes Problem!

Wenn Sie also irgendwo lesen, dass der Microsoft-Gründer Bill Gates das Virus finanziert haben soll, um allen Menschen einen Mikrochip einpflanzen zu können, mit dem sie dann total überwacht und kontrolliert werden – das ist falsch.

Wenn Sie also irgendwo lesen, dass der jüdische US-Milliardär Georg Soros und Israel Urheber des Virus seien – das ist falsch. Dieses Narrativ von der geheimen ‚Weltverschwörung‘ mit einem allmächtigen Strippenzieher ist übrigens ein zentrales Motiv antisemitischer Verschwörungstheorien.

In dieser Szene geht es munter weiter: Es werden auch Verschwörungsmythen der QAnon-Bewegung aus den USA aufgriffen und hitzig diskutiert. Demnach soll ein enger Vertrauter mit dem Pseudonym Q aus dem unmittelbaren Beraterumfeld von Donald Trump diesem bei seinem Kampf gegen einen ‚tiefen Staat‘ helfen. Diese Person soll angeblich über Geheiminformationen aus amerikanischen Regierungs- und Geheimdienstquellen verfügen. Diese angeblichen Geheiminformationen werden über viele Internetplattformen und soziale Medien breit gestreut. Ich habe dazu eine Schriftliche Anfrage (PDF) an die Staatsregierung gestellt.

„Widerstand 2020“ verharmlost Corona-Pandemie

Immer wieder taucht in der aktuellen Debatte der Name „Widerstand 2020“ auf. Diese Gruppe wurde u.a. von HNO-Arzt Bodo Schiffmann gegründet. Er verharmlost in seinen Videos die gesundheitlichen Gefahren des Corona-Virus und verbreitet über seinen Youtube-Kanal Verschwörungsmythen. Die neue Gruppierung sieht sich als authentischen Ausdruck des Volkswillens und bedient so bekannte populistische Muster. Durch Falschnachrichten, Übertreibungen, Emotionalisierung und das Schüren von Ängsten vergrößern diese neuen Akteure die aktuelle Verunsicherung vieler Menschen. Auch die Gruppe „Nicht ohne uns“ stößt in das gleiche Horn.

Extreme Rechte nutzen gesellschaftliche Verunsicherung aus

Verschwörungstheoretiker*innen und extreme Rechte versuchen, die Verunsicherung in der Bevölkerung aufgrund des andauernden Ausnahmezustands zu nutzen. – Katharina Schulze

Extreme Rechte planen offenkundig sich an die Spitze einer breiten Bürgerbewegung gegen die Beschränkungen des alltäglichen Lebens zu setzen. Das ist hoch gefährlich. Wenn man sich die Teilnehmer*innen der letzten Demonstrationen genauer anschaut, so findet man ein breites Spektrum: Impfgegner*innen, 5G-Gegner*innen, Esoteriker*innen, ‚Querfrontler*innen‘ aus den ‚Friedenswinter-Protesten‘, staatskritische und libertäre Linke, extreme Rechte unterschiedlicher Couleur, vom neu-rechten ‚Compact-Magazins‘ eines Jürgen Elsässer bis hin zu bekannten Holocaust-Leugner*innen, außerdem sind prominente Verschwörungsideolog*innen wie Ken Jebsen, selbsternannte „Reichsbürger“,  und auch die AfD ist ganz vorne mit dabei. Wie so oft in diesen Szenen ist auffällig, registrieren Beobachter*innen der Proteste, dass Männer bei den Protestierenden stark vertreten sind.

Natürlich sind nicht alle Menschen, die sich aktuell an den „Hygiene-Demonstrationen“ beteiligen, Rechtsextreme oder Verschwörungsideolog*innen. Proteste gegen die Einschränkung demokratischer Rechte und Freiheiten sind notwendig und legitim. Sie dürfen jedoch nicht als Plattform zur Verbreitung rechter Verschwörungstheorien missbraucht werden – das muss jeder Demokratin und jedem Demokraten klar sein. Wer sich da nicht eindeutig distanziert, trägt das mit. Mitgegangen, mitgefangen.

Was jeder und jede von uns tun kann

Was kann man jetzt also dagegen tun, wenn Freund*innen, Familie oder sonstige Bekannte auf einmal mit so was um die Ecke kommen?

Das Wichtigste ist: Aufklären und Hintergründe aufzeigen. Fakten und Informationen bereitstellen. Es gibt zum Glück so viele unabhängige Journalist*innen die z.B. beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder bei Recherchezentren wie correctiv die Aussagen überprüfen und einordnen.

Zweitens: Grenzüberschreitungen klar benennen. Deutlich machen, welche Gruppen man da unterstützt und eine Distanzierung von diesen einfordern: Der legitime Einsatz für den Erhalt unserer Grundrechte wird sonst unnötig diskreditiert.

Drittens: Quellen checken. Nur weil was in diesem Internet steht, muss es nicht stimmen. Nur weil ein Prof. Dr. Irgendwas in eine Kamera spricht, bedeutet es nicht, dass er oder sie die richtigen Schlüsse aus den Fakten zieht. Nur weil jemand (Halb-) Prominentes einen empörten Tweet schreibt, ist das nicht unverifiziert zu glauben!

Was jetzt parlamentarisch zu tun ist

Für mich als grüne Innenpolitikerin ist klar, mit rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Bewegungen gibt es keine Zusammenarbeit, vielmehr muss konsequent dagegen vorgegangen werden. Die Köpfe in den Bewegungen gehören in den Blick genommen, die Verbindungen in die extremistischen Szenen aufgeklärt und nachverfolgt. Die Sicherheitsbehörden sind verpflichtet dort genau hinschauen, denn diese Gruppen versuchen unsere Demokratie zu schwächen. Einflussnahmen von anderen Staaten, z. B. die Verbindungen nach Russland müssen aufgeklärt werden.

Desinformationskampagnen zur Destabilisierung von Gesellschaften sind mittlerweile eine Art der Kriegsführung. – Katharina Schulze

Da viel online passiert, braucht es endlich eine virtuelle Polizeiwache in Bayern, bei der man Anzeigen stellen kann. Aufklärungsarbeit muss parallel massiv aufgewertet werden, ich setze mich schon seit Jahren für mehr Demokratie- und Medienbildung sowie die Stärkung der Zivilgesellschaft ein. Dafür braucht es ein Demokratieförderungsgesetz, eine Zentrale Koordinierungsstelle Demokratie sowie ein eigenes Landesprogramm zur Stärkung der Zivilgesellschaft.

Es ist essentiell, dass auch in der Corona-Krise für den Erhalt und die Stärkung demokratischer Rechte gekämpft wird. So haben wir z. B. dafür gekämpft, dass die Versammlungsfreiheit in Bayern wieder hergestellt wird. Wir achten auf strenge Datenschutzvorgaben bei der Einführung einer Corona-App und stellen uns gegen Immunitätsausweise. Die Achtung der Grundrechte ist dabei unabdingbar für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, das habe ich in meinem Blogbeitrag am Anfang der Pandemie schon deutlich gemacht.

Natürlich müssen alle Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie kontinuierlich auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft werden. Dabei ist in einer Demokratie eine kritische Öffentlichkeit unverzichtbar. Wir Grüne tragen unseren Teil dazu bei, indem wir regelmäßig eine kritische Evaluation und parlamentarische Kontrolle der weitreichenden und einschränkenden staatlichen Maßnahmen einfordern. Wir haben dazu schon viele Anträge und Anfragen gestellt.

Gemeinsam gegen Verschwörungsmythen vorgehen

 

Ich kann es absolut nachvollziehen, dass die Corona Pandemie Angst macht, auch ich schlafe oft schlecht. Sehr viel hat sich in kurzer Zeit für uns alle verändert: Wie wir uns begegnen, wie wir leben, wie wir arbeiten. Dazu kommen Sorgen um die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen. Auch die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen belasten. Die Corona-Pandemie stellt unsere ganze Gesellschaft vor eine nie dagewesene Herausforderung – und ja, es sind ungewöhnliche Zeiten. Die Antwort kann dann aber doch nicht sein, dass man sich diskriminierenden, rassistischen, antisemitischen und demokratiefeindlichen Gruppen anschließt.

Wir brauchen vielmehr gesellschaftliche Solidarität, eine fakten- und evidenzbasierte Politik und Gesellschaft, sowie den Erhalt und die Stärkung des Rechtsstaates und der Institutionen. Dafür werde ich mich weiter einsetzen – ich hoffe, Sie auch!

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Ergänzung vom 14. Mai 2020: Ich habe eine Anfrage an die Staatsregierung gestellt, wie es denn mit der Beteiligung von Rechtsextremisten an den sogeannten „Hygiene-Demos“ aussieht. Sie hat mir bestätigt, dass bei solchen Kundgebungen und Demonstrationen auch Rechtsextremisten mit dabei sind. Die gesamte Anfrage samt Antwort hier.