Katharina Schulze

Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag

Impuls

Innenpolitik in Krisenzeiten: Was jetzt wichtig ist

14. April 2020 in Im Parlament |

Kein Thema treibt mich so um wie die Innenpolitik. Warum? Hier geht es häufig um Grundsätzliches: Wie wahren wir unsere Grundrechte? Wie verteidigen wir unsere Demokratie? Welche Regeln wollen wir uns als Gesellschaft geben, damit alle Bürger*innen in unserem Land frei und sicher leben können? Wie können wir Arbeitsbedingungen von Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften verbessern, damit sie dieses Miteinander unter guten Arbeitsbedingungen sichern können? Gerade in der Corona-Krise werden uns solche und andere Fragen der Innenpolitik im Brennglas deutlich. Was mir hier persönlich wichtig ist, möchte ich in folgenden Punkten deutlich machen.

Demokratie, Grundrechte und Transparenz

Für den Gesundheitsschutz und zur Bekämpfung der Pandemie wurden drastische Maßnahmen von staatlicher Seite ergriffen und Bürger*innenrechte massiv eingeschränkt. In Krisenzeiten gilt bei jeder Einschränkung immer darauf zu achten, dass Verhältnismäßigkeit gewahrt wird und jede Maßnahme nur so einschneidend ausgestaltet wird, wie es zwingend notwendig ist. Das erhöht nicht nur die Akzeptanz der Bevölkerung für diese wichtigen Maßnahmen, sondern erleichtert es auch der Polizei diese Regeln durchzusetzen. Die einschneidenden Maßnahmen müssen nach der Pandemie alle wieder zurückgenommen werden, darauf werden wir achten.

Desweiteren muss das staatliche Handeln in der Akutphase aufgearbeitet werden. Denn ich bin überzeugt, dass nur unsere liberale Demokratie am Ende die bessere Antwort auf die Herausforderung ist, als ein autoritäres System. In China wurden beispielsweise verantwortungsvolle Ärzt*innen, die frühzeitig auf das Virus hingewiesen haben, mundtot gemacht.

Der Spagat zwischen politischen Notwendigkeiten und Eingriffen in Grundrechte ist auch dank frühzeitiger Intervention von uns Grünen beispielsweise im Rahmen des neuen bayerischen Infektionsschutzgesetz weitgehend gelungen. Wir konnten erreichen, dass die Mitglieder des Bayerischen Landtags oberste Kontrollinstanz der Regierung bleiben und das das mit Eingriffen in unsere Persönlichkeitsrechte verbundene Gesetz ein festes Verfallsdatum zum Jahresende erhält.

Digitale Technik kann uns begleitend helfen

Es wird im Moment viel über digitale Technologien gesprochen und wie sie bei der Bekämpfung der Pandemie helfen können. Es gibt manche, die sehen in einer Corona-App das Allheilmittel, andere lehnen es aus verschiedensten Gründen komplett ab. Ich sehe das differenziert: Eine passgenaue, datensparsame und dezentrale App zum Tracking kann ein begleitender Baustein zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sein, ihre Nutzung muss jedoch freiwillig sein und hohe Datenschutzstandards müssen gewahrt sein. Die Daten dürfen nicht an Sicherheitsbehörden weitergegeben werden.

Darüber hinaus braucht es dringend folgende Maßnahmen: Eine flächendeckend ausgebaute Laborinfrastruktur, damit wir schneller und mehr Personen testen können, die Aufstockung von Personal in den Gesundheitsämtern, damit den Coronafällen nachgegangen werden und Kontaktpersonen ermittelt werden können. Außerdem die Einhaltung von umfangreichen Hygienemaßnahmen (ausreichend Händewaschen, Nies- und Hustetikette, Mund-Nasen-Schutz und Abstand halten), genügend Schutzmaterial (Masken, Schutzkleidung, Desinfektionsmittel), mehr Beatmungsgeräte und Material auf den Intensivstationen, Weiterbildung des medizinischen Personals im Bereich Beatmung, der Schutz von Risikogruppen und das Unterbrechen von Infektionsketten müssen ebenfalls Hand in Hand gehen.

Denn die Lage ist weiterhin ernst. Nach Ansicht der meisten Expert*innen ist frühestens in neun Monaten mit einem Impfstoff zum Schutz vor COVID-19 zu rechnen. Bis große Teile der Bevölkerung geimpft sind, kann es wohl bis zu 12 Monaten dauern. Man sollte also keine falschen Hoffnungen wecken und konsistent kommunizieren. Das Hin und Her der Bayerischen Staatsregierung beispielsweise beim Thema Maskenpflicht hilft nicht dabei Vertrauen und Sicherheit aufzubauen. Ich erwarte in Zukunft eine klare Krisenkommunikation der Regierung.

Schrittweise wieder anfahren?

Gleichzeitig müssen wir weiter darüber sprechen, wie wir das gesellschaftliche und ökonomische Leben unter Wahrung des Gesundheitsschutzes behutsam und schrittweise wieder anfahren können. Dabei ist es kontraproduktiv über das Wann zu diskutieren (das Virus wird nicht zu einem von der Politik festgelegten Datum verschwinden) sondern über das Wie. Oder anders gesagt: Das Wie definiert das Wann. Hier geht nicht um ein emotionales “Jetzt reicht es auch mal wieder”, sondern es geht um die Einhaltung der oben genannten Kriterien (ausreichend Tests, Intensivbetten, Abflachen der Kurve, Hygienemaßnahmen, ausreichend Schutzmaterial, etc.). Die Voraussetzungen für Lockerungen müssen geschaffen werden – daran wird die Regierung gemessen! Es müssen daher kluge Wege gefunden werden, mit der sich das Virus nicht unkontrolliert verbreitet, jeder Fall verfolgt und Kontaktpersonen ermittelt werden können. So vermeiden wir, dass unser Gesundheitssystem kollabiert und stellen sicher, dass die Folgekosten der Maßnahmen in einem ökonomisch, gesellschaftlichen und verfassungsrechtlich akzeptablen Rahmen bleiben.

Kontrolle der Regierung gerade auch in Krisenzeiten

Als Oppositionsführung ist unsere Kernaufgabe auch in Krisenzeiten, die Regierung parlamentarisch zu kontrollieren. Mit Anfragen, Anträgen und Debattenbeiträge im Plenum machen wir genau das. Natürlich werden wir auch darüber sprechen und aufklären, ob zu spät, zu zaghaft reagiert wurde, was gut lief und was nicht. Ich möchte beispielsweise unbedingt wissen, wann genau die bayerischen Behörden von den vermehrten Fällen im Zusammenhang mit Südtirol und Ischgl erfahren hat, wie die Staatsregierung sich auf eine mögliche Pandemie vorbereitet hat, wie das Thema Schutzmaterial in den entsprechenden Gremien diskutiert wurde, wie sich die personelle Ausstattung der 71 staatlichen Gesundheitsämtern in den letzten 10 Jahren entwickelt hat, warum die Kontrolle an den Flughafen bei Einreisen so lax gehandhabt werden und wie mit den Daten der COVID-19-Patient*innen verfahren wird, und und und.

Versammlungsrecht wieder ermöglichen

In einer derartigen Krise, in der wir uns gerade befinden, müssen staatliche Einzelmaßnahmen regelmäßig überprüft und nachjustiert werden, das gilt auch für die Bayerischen Ausgangsbeschränkungen. Je länger die Beschränkungen gelten, desto mehr Herausforderungen kommen auch verfassungsrechtlich auf uns zu. Neben den Einschränkungen von Menschen in Single-Haushalten, nenne ich als ein Beispiel auch das Versammlungsrecht. Demonstrationen bieten die Möglichkeit der Verbreitung des Virus, deswegen ist es gut begründbar, warum sie erstmal untersagt sind. Auf Dauer jedoch müssen wir uns dringend überlegen, wie wir Möglichkeiten schaffen, die öffentliche Meinung kundzutun, ohne die Ansteckungsgefahr zu erhöhen, durch ausreichend Abstand und Schutzmaterial beispielsweise bei einer Kundgebung.

20 Punkte-Plan: Mit Weitblick durch die Krise

Gleichzeitig ist es Aufgabe der Politik, das Krisengeschehen umfassend und weitsichtig in den Blick zu nehmen und einen Masterplan für das Jetzt und das Später zu entwickeln. Wir Grüne im Bayerischen Landtag nehmen mit unserem grünen Grundsatzpapier (PDF) „20-Punkte-Plan: Mit Weitblick durch die Krise“ die gesamte Gesellschaft in den Blick und stellen sicher, dass unser Land als starker Sozialstaat aus der Krise kommt. Es ist gut, dass die Regierung immer wieder wenigstens teilweise Punkte daraus aufnimmt, wie beispielsweise unsere Forderung nach einer 500 Euro Gefahrenzulage für Menschen im medizinischen und pflegerischen Bereich – die wenigstens in eine Einmalzahlung von 500 Euro mündete.

Polizei und Blaulichtorganisationen schützen und unterstützen

Als Innenpolitikerin bin ich nicht nur für die Polizei zuständig, sondern auch für die nicht-polizeiliche Gefahrenabwehr und damit für alle sogenannten Blaulichtorganisationen wie Feuerwehr, Bergwacht, Rettungsdienste, Zoll und THW. Ich bin momentan im Austausch mit allen großem Blaulichtorganisationen. Es ist bewundernswert, wie ruhig und fokussiert sie daran arbeiten, dieser Krise zu begegnen. Für mich ist klar: Es ist im Moment nicht nötig, dass die Bundeswehr im Inneren eingesetzt wird, Debatten gibt es ja immer wieder darüber.

Es zeigt sich aber weiterhin Handlungsbedarf: In der aktuellen Corona-Krise muss der gesundheitliche Schutz all derer, die an vorderster Front bei der Bekämpfung der Covid-19 Pandemie stehen, höchste Priorität haben. Das sind neben dem medizinischen und pflegerischen Fachpersonal auch die Rettungskräfte, Polizei und Feuerwehr. Diese Menschen halten unsere Gesellschaft am Laufen, sie sind Helfer*innen in Not und sorgen für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Der Freistaat muss deswegen alle Anstrengungen unternehmen, um ausreichend Schutzmaterial bereitzustellen und die Verteilung gerecht in allen Bereichen sicherzustellen. Denn das fehlt im Moment noch. Vor allem Masken, Desinfektionsmittel und Schutzanzüge müssen umfassend und schnellstmöglich verfügbar sein, damit so wenige wie möglich aus diesem Personenkreis erkranken. Da hat die Staatsregierung eine Fürsorgepflicht, der sie im Moment noch nicht allumfassend nachkommt.

Ich fordere, dass Mitglieder von Polizei und Rettungskräften ebenso wie medizinisches und pflegerisches Personal bei dem Zugang zu Corona-Tests bevorzugt behandelt werden, wenn Verdacht auf Infektion besteht. Auch bei Polizei und Rettungskräften gibt es Kolleg*innen, die zur sogenannten Risikogruppe gehören, für sie müssen spezielle Schutzvorkehrungen und alternative Einsatzmöglichkeiten geschaffen werden.

In der aktuellen Krise zeigt sich erneut: Polizei, Feuerwehrund Rettungskräfte verdienen nicht nur unsere größte Wertschätzung und Anerkennung, sondern auch die bestmöglichen politischen Rahmenbedingungen: die (technologische) Ausstattung, die Rekrutierung von Personal, Aus- und Fortbildung sowie der Einsatz digitaler Infrastrukturen zur Unterstützung. Auch im Nachgang müssen die Erkenntnisse, Erfahrungen und Bewertungen der Lage von den verschiedenen Blaulichtorganisationen in die Aufarbeitung und Evaluation der Maßnahmen einfließen. So können wir alle lernen und uns für kommende Krise noch besser aufstellen.

Solidarität ist der Schlüssel

Wir haben starke Institutionen, starke Behörden, gute soziale Sicherungssysteme und eine soziale Marktwirtschaft. In China werden Stimmen unterdrückt und Bürgerrechte massiv verletzt, in den USA müssen die Menschen katastrophales Krisenmanagement des Präsidenten und ein unterfinanziertes, privatisiertes Gesundheitssystem ausbaden. Wir können uns also froh schätzen, in diesem Land zu leben. Aber damit wir am Ende gemeinsam und solidarisch aus der umfassenden Krise rauskommen, kommt es jetzt weiter auf uns alle an: #flattenthecurve und räumlichen Abstand wahren!