Katharina Schulze

Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag

Grundrechte schützen

Klage gegen CSU-Verfassungsschutzgesetz

3. August 2017 in Im Parlament |

Am 03. August 2017 haben wir Grüne gegen das CSU-Verfassungsschutzgesetz beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof geklagt. Wir lehnen die Verpolizeilichung des Nachrichtendienst ab und schützen unsere Grundrechte.
Spätestens nach der Mordserie des NSU sollte klar geworden sein, dass sich beim Verfassungsschutz einiges ändern muss. Wir Grüne fordern das regelmäßig ein. Änderungen gab es bisher jedoch kaum. Im Sommer 2016 hat die CSU im Landtag eine Neufassung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes durchgedrückt, die in die falsche Richtung geht. Anstatt Fehler zu beseitigen, werden mit dem neuen Verfassungsschutzgesetz in Bayern die Befugnisse des Nachrichtendienstes ausgeweitet. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) verfügt jetzt über weitreichende, höchstbedenkliche Überwachungsmöglichkeiten. Die CSU zieht damit die falschen Konsequenzen aus der Selbstenttarnung des NSU. Von einer „Reform“ des Verfassungsschutzes im Sinne des Rechtsstaates kann aus unserer Sicht nicht die Rede sein.

Wir Grüne haben das Gesetz vor einem Jahr im Landtag abgelehnt, jetzt erheben wir Klage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof.

Katharina Schulze mit Prof. Bäcker vor dem Bayr. Verfassungsgerichtshof

Warum lehnen wir das Verfassungsschutzgesetz ab?

Grüne Hauptkritikpunkte am Verfassungsschutzgesetz der CSU:

  • Das Gesetz höhlt durch seine zahlreichen Überwachungsbefugnisse die Grundrechte aus, insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
  • Als erstes Landesamt für Verfassungsschutz überhaupt darf der Bayerische Verfassungsschutz jetzt auf die Daten aus der Vorratsdatenspeicherung zurückgreifen.
  • Der Verfassungsschutz darf weiterhin Online-Durchsuchungen durchführen, d.h. Computer heimlich ausspähen, was in dieser Form höchst bedenklich ist.
  • Kinder dürfen überwacht werden. Noch nach Jahren die „Jugendsünden“ angelastet zu bekommen lehnen wir ab. Insbesondere Minderjährigen steht ein Recht auf Resozialisierung zu.
  • Der Verfassungsschutz darf trotz des NSU-Debakels auch künftig verdeckte MitarbeiterInnen einsetzen, die weiterhin Straftaten im Dienst begehen dürfen. Auch bleibt die Rekrutierung von Straftätern als V-Personen möglich.
  • Die Möglichkeiten zur Kontrolle des Verfassungsschutzes reichen nicht aus. Die parlamentarische Kontrolle hat die CSU sogar eingeschränkt.

Die CSU betreibt eine Verpolizeilichung des Verfassungsschutzes, die wir ablehnen. Das sogenannte Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst muss weiterhin bestehen bleiben. Der Verfassungsschutz ist keine Gefahrenabwehrbehörde.

Wir lehnen das Verfassungsschutzgesetz ab, weil der Preis für den angeblichen, von der CSU behaupteten, Sicherheitsgewinn zu hoch ist. Die CSU verkauft ihr Gesetz laut Begründung als Maßnahme gegen den (internationalen) Terrorismus, liefert jedoch eigentlich keinen Mehrgewinn für die Sicherheit in Bayern. Sicher ist aber, dass die Freiheitsrechte der BürgerInnen erheblich eingeschränkt werden.

Der Gesetzentwurf wird von der CSU zudem als Antwort auf das Versagen der Sicherheitsbehörden in der NSU-Mordserie stilisiert, doch ein Großteil der im Umfeld des NSU tätigen V-Personen, die dort eine sehr unrühmliche Rolle gespielt haben, wären auch nach diesen Regelungen weiterhin geeignete Kandidaten für die Anwerbung durch den Bayerischen Verfassungsschutz. Hier hat die CSU-Regierung einfach nichts dazugelernt.

Warum ist das Verfassungsschutzgesetz verfassungswidrig?

Wir lehnen das Verfassungsschutzgesetz nicht nur politisch ab. Es ist auch aus verfassungsrechtlicher Sicht höchstbedenklich, wie wir in unserer Klage vortragen:

  • Dass der Verfassungsschutz nach Landesrecht auf die Vorratsdatenspeicherung zurückzugreifen darf, verstößt gegen Bundesrecht.
  • Der Verfassungsschutz darf viel zu leicht überwachen. Aktuelle Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden missachtet (z.B. das auf Klage der Grünen ergangene Urteil zum BKA-Gesetz v. 20.4.2016). Die neuen bayerischen Überwachungsbefugnisse schützen nicht ausreichend die Individualinteressen und Grundrechte der Betroffenen.
  • Berufsgeheimnisse und der Kernbereich privater Lebensgestaltung sind völlig unzureichend geschützt. Die überwachten Personen haben zu wenige Rechte.
  • Die Befugnisse des Verfassungsschutzes IT-Systeme zu überwachen, führt zu gravierenden, rechtswidrigen Risiken für die IT-Sicherheit.
  • Dass der Verfassungsschutz die bei der Überwachung gewonnenen Informationen auch an andere Stellen abgeben darf (z.B. an die Polizei, an nicht-öffentliche Stellen, an Stellen im Ausland), ist so, wie es das Gesetz vorsieht, verfassungswidrig. Dadurch werden Grundrechte der Betroffenen verletzt.
  • Die parlamentarischen, öffentlichen und aufsichtsbehördlichen Möglichkeiten zur Kontrolle der eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen des Landesamts und der nachfolgenden Datenverarbeitungen sind unzureichend und daher verfassungswidrig.
  • Kinder dürfen nicht so wie Erwachsene überwacht werden. Das stellt einen besonders intensiven Eingriff in deren Grundrechte dar.

Deswegen wird unsere Klage gegen das Bayerische Verfassungsschutzgesetz erneut zeigen, dass die Justiz eine falsche Weichenstellung der CSU korrigieren muss.

Wir sind nicht allein mit unserer Kritik

Die Landtags-Grünen äußerten frühzeitig, schon während des Gesetzgebungs-prozesses im Landtag, verfassungsrechtliche Bedenken, die sich erhärtet haben. Im Landtag gab es im Mai 2016 eine Expertenanhörung zum neuen Verfassungsschutzgesetz, und zwar gegen den Willen der CSU. Wenig überraschend wurde dabei deutlich, dass das Gesetz der CSU rechtlich höchst bedenklich ist nach Ansicht der RechtsexpertInnen aus den Bereichen Verfassungs- und Verwaltungsrecht, des Datenschutzes und der Praxis des Verfassungsschutzes.

Auch der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, Dr. Petri, hat gesagt, er befürchtet durch das neue Gesetz dramatische Auswirkungen für die Grundrechte.

Wie geht es jetzt weiter?

Mit einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs dürfte nicht vor dem Herbst 2018 zu rechnen sein. Zuvor wird es eine mündliche Verhandlung geben.

Wer vertritt die Landtags-Grünen vor Gericht?

Unser Prozessvertreter ist Matthias Bäcker, Professor für Öffentliches Recht und Informationsrecht, insbesondere Datenschutzrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er ist ein renommierter Experte für Verfassungsrecht, insbesondere für den Schutz der Grundrechte, für Datenschutzrecht und für das Recht der öffentlichen Sicherheit. Prof. Bäcker wurde in der Vergangenheit mehrfach als Sachverständiger des Bundestages berufen. Auch an der Expertenanhörung zum Verfassungsschutzgesetz im Landtag war er beteiligt

Was fordern wir Grüne?

Was wir nach dem NSU-Skandal brauchen, ist eine umfassende Reform des Verfassungsschutzes. Wir wollen einen Verfassungsschutz, der nicht die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger aushöhlt.

  • Deswegen wollen wir das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz reformieren und umstrukturieren. Die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten werden wir auf ein Minimum reduzieren und die neue Behörde wird enger mit Wissenschaft sowie der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten.
  • Die gesetzlichen Aufgaben müssen klarer definiert, die parlamentarische Kontrolle gestärkt und insbesondere auf die Beobachtung gewaltorientierter motivierter Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung konzentriert werden. Die Beobachtung von Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität und der Cyber-Kriminalität sind dagegen keine originären Aufgaben des BayLfV, sie können besser von Polizeibehörden erfüllt werden und werden deshalb umverlagert.
  • Nötig ist eine klare Abgrenzung zu den Aufgaben der Polizei, um das Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizei strikt einzuhalten.
  • Eine Beobachtung von Kindern, das Zugreifen auf die Vorratsdaten und das V-Personen-System in seiner derzeitigen Form lehnen wir ab. Der Einsatz von V-Personen in der rechtsextremistischen Szene verlief in der Vergangenheit desaströs, wie die parlamentarische Aufarbeitung der NSU-Mordserie gezeigt hat.
  • Unabhängig von der Reformierung des BayLfV stehen wir einer Reform der Struktur der Sicherheitsbehörden in der Bundesrepublik offen gegenüber. Dazu gehört auch die organisatorische Konzentration in Verbindung mit einem runderneuerten Inlandsnachrichtendienst von Bund und Ländern.

Mehr Informationen zum CSU-Verfassungsschutzgestz