#nopag
Anhörung zum Polizeiaufgabengesetz (PAG) im Innenausschuss
Heute hat im Innenausschuss des Bayerischen Landtags die Anhörung zum Gesetzentwurf zur Reform des Polizeiaufgabengesetzes auf Antrag (PDF) meiner Fraktion stattgefunden. Die Anhörung hat gezeigt, dass unsere beständige Kritik am PAG erste Früchte zeigt und ein paar Verbesserungen erfolgt sind, der Webfehler des Gesetzes – der Paradigmenwechsel des Polizeirechts weg von der Bekämpfung gegenwärtiger Gefahren hin zur Bekämpfung einer nebulösen drohenden Gefahr – bleibt allerdings erhalten. So wie der Gesetzentwurf heute vorliegt, werden wir unsere grünen Klagen vor dem Verfassungsgericht auch weiterhin aufrecht erhalten.
Gesetzentwurf ließ auf sich warten
Der nun vorliegende Gesetzentwurf des Polizeiaufgabengesetzes hat sehr lange auf sich warten lassen, er war von Innenminister Herrmann bereits für 2019 angekündigt. Korrigiert er nun die Fehler, die wir Grüne dem PAG vorwerfen? Leider nur zum Teil.
Präventivhaft wieder zeitlich begrenzt
Es ist ein schöner grüner Erfolg, dass die Präventivhaft endlich wieder eine gesetzlich normierte Höchstdauer aufweist von insgesamt maximal 2 Monaten. – Katharina Schulze
Hier wurde unsere Kritik und die Vorgaben des Kommissionsberichts endlich aufgegriffen – auch wenn Bayern im Ländervergleich immer noch die schärfste Regelung aufweist. In anderen Bundesländern ist eine Dauer von 2 Wochen das absolute Maximum. Es handelt sich hier um Menschen, die KEINE Straftat begangen haben. Da müssen wir also nochmal ran.
Wer präventiv länger als einen Tag in Gewahrsam genommen wird, hat außerdem künftig einen Anspruch auf einen rechtlichen Beistand. Das ist dringend notwendig und ein deutlicher rechtsstaatlicher Fortschritt. Wichtig wäre aber, dass diese Bestellung bereits in dem Zeitpunkt vorliegt, in dem ein Richter über Fortdauer der Freiheitsentziehung entscheidet. Unser Grundsatz lautet: Wer in Haft genommen wird, hat sofort das Recht auf einen Anwalt.
Es verstößt außerdem gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), dass der präventive Gewahrsam schon bei der bloßen Gefahr der Begehung von Ordnungswidrigkeiten möglich ist. Besonders eklatant hat sich dieser Fehler bei der ausufernden Präventivhaft in der Corona-Pandemie gezeigt.
Im ersten Lockdown (März 2020) wurden in Bayern Menschen z. T. wochenlang in Präventivhaft genommen, weil sie gegen Ordnungswidrigkeiten aus der Infektionsschutzverordnung verstoßen hatten, wie meine Anfrage zeigte. Ein besonders krasser Fall betrifft einen Jugendlichen, der 11 Tage in Haft war, weil er sich zuschulden kommen hat lassen sich wiederholt zusammen mit anderen Jugendlichen außerhalb seiner Wohnung getroffen zu haben.
DNA-Analyse ohne „biographische Herkunft“
Kommt es zu einer DNA-Untersuchung (genauer: molekulargenetischen Analyse von Spurenmaterial) wird die von uns vielfach kritisierte Analyse der „biogeographische Herkunft“ endlich gestrichen.
Diese Rechtsgrundlage war grob diskriminierend und verstößt gegen die Vorgaben des BVerfG. An der grundsätzlichen Ermächtigung der Analyse von DNA-Untersuchungen für präventives polizeiliches Handeln hält der Gesetzentwurf zu unserem Bedauern fest. Es fehlen auch weiterhin klare Regelungen zur Speicherdauer der Daten.
Zentrales Übel der „drohenden Gefahr“ bleibt
Zu den von uns vor dem BayVerfGH angegriffenen Vorschriften enthält der Gesetzentwurf enttäuschenderweise kaum substantielle Änderungen.
Das zentrale Übel des PAG, der Begriff der „drohenden Gefahr“ als Eingriffsschwelle im allgemeinen Polizeirecht, wurde beibehalten. – Katharina Schulze
Dieser Begriff ermöglicht also weiterhin eine eklatante Befugnisverschiebung weit ins Gefahrenvorfeld. Die Polizei darf in Bayern viele grundrechtsintensive Eingriffe, wie z. B. Online-Durchsuchungen, Dauerobservationen mit Ton und Bildaufnahmen und sogar Telekommunikationsüberwachung schon beim Vorliegen einer lediglich „drohenden Gefahr“ durchführen.
Die Anhörung hat heute deutlich gezeigt, dass der Begriff der drohenden Gefahr auch weiter kritikwürdig bleibt. Viele Expert*innen haben der Auffassung der Söder-Regierung, das BVerfG habe die „drohende Gefahr“ als angemessene Gefahrenkategorie im allgemeinen Polizeirecht anerkannt, widersprochen.
Wir Grüne sehen darin eine verfassungswidrige Vernachrichtendienstlichung der Polizei. Hier muss am Ende die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs über unsere Klagen Klarheit bringen!
Postsicherstellung kaum entschärft
Die von uns kritisierte Befugnis der Postsicherstellung wird lediglich durch den Richtervorbehalt entschärft. Dies ändert aber nichts daran, dass sie nicht den verfassungsrechtlichen Erfordernissen der Normbestimmtheit und der Verhältnismäßigkeit entspricht. Für die in besonderem Maße eingriffsintensive Öffnung von Postsendungen wird die Befugnis zur Übertragung auf die Polizei nur unwesentlich eingeschränkt.
Änderungen beim Einsatz von Body-Cams gehen nicht weit genug
Keine Änderungen erfolgen bei den von uns gerügten Vorschriften zur Durchsuchung von Datenträgern oder Sicherstellung von Gegenständen oder Online-Durchsuchung sowie Einsatz von technischen Mitteln in Wohnungen. Die Änderungen beim Einsatz der Body-Cam gehen nicht weit genug: Der Richtervorbehalt darf nicht erst bei der Auswertung, sondern schon vor der Entscheidung der Benutzung einer Body-Cam in einer Wohnung gelten.
Mein Fazit zur Anhörung
Ich begrüße es, dass bei der Reform des PAG nun endlich etwas vorangeht. Wir warten seit Jahren auf die angekündigten Verbesserungen. Es ist aber keine große Reform, sondern nur ein Reförmchen.
Unsere Kritik trägt erste Früchte! Die Entschärfungen sind jedoch sicherlich nicht der Einsicht der Staatsregierung geschuldet, sondern auf konstante Kritik durch uns, Kommission und Zivilgesellschaft zurückzuführen. – Katharina Schulze
Dass der BayVerfGH im Sommer 2020 mit seinem Urteil zur Bayerischen Grenzpolizei gezeigt hat, dass er durchaus bereit ist, der Staatsregierung Nachhilfe in Verfassungsrecht zu erteilen, war ganz offensichtlich eine zusätzlich Motivation der Söder-Regierung, das Gesetz von den massivsten Entgleisungen zu befreien.
Leider bleibt der Webfehler des Gesetzes – der Paradigmenwechsel des Polizeirechts weg von der Bekämpfung gegenwärtiger Gefahren hin zur Bekämpfung einer nebulösen drohenden Gefahr – weiterhin erhalten. – Katharina Schulze
Wie es jetzt weiter geht
So wie der Gesetzentwurf der Söder-Regierung heute vorliegt, ändert er an unseren Klagen vor dem Verfassungsgericht nichts. Wir werden außerdem in der kommenden Zeit Änderungsanträge erarbeiten und einbringen.
Zum Hintergund:
Seit 2017 war es das dritte Mal, dass wir uns im Landtag parlamentarisch mit einer Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes beschäftigen mussten. Im Jahr 2017 hat die CSU erstmals die Rechte der Polizei gewaltig ausgeweitet.
Der polizeiliche Präventivgewahrsam war bis zu dem Zeitpunkt auf zwei Wochen begrenzt. Mit der Neuregelung war eine zeitliche Obergrenze gesetzlich nicht mehr vorgesehen. Eine Verlängerung war theoretisch unendlich lange möglich. Dagegen haben wir Grüne als einzige Oppositionspartei von Beginn an klar Stellung bezogen, gegen das Gesetz gestimmt und Klage vor dem BayVerfGH eingereicht.
Im Jahr 2018 folgte dann das umstrittenste Gesetz der letzten Legislaturperiode – das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz, kurz PAG. Mehr als 40.000 Menschen demonstrierten vor knapp drei Jahren in München gegen das Regelwerk, das der bayerischen Polizei deutlich mehr Befugnisse einräumte, als je zuvor seit Kriegsende.
Eines der zentralen Probleme: Der schwammige Begriff der drohenden Gefahr wurde flächendeckend als Eingriffsschwelle eingeführt und somit die Befugnisse der Polizei damit weit ins Gefahrenvorfeld verlagert.
Die Proteste aus der Zivilgesellschaft hielten die Staatsregierung aber nicht davon ab, das Gesetz dennoch im Eilktempo durch den Landtag zu jagen. Berechtigte Kritik wurde ignoriert. Markus Söder versuchte im Wahljahr 2018 die AfD mit einem rechtspopulistischen Kurs und noch lauteren und schrilleren Tönen übertrumpfen zu wollen.
Wir als grüne Landtagsfraktion haben auch gegen die zweite Novelle des PAG vor dem BayVerfGH Klage eingereicht. Die grüne Bundestagsfraktion klagt zusammen mit SPD und FDP vor dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Normenkontrolle.
Der BayVerfGH hat unserer grünen Kritik bereits in Teilen Recht gegeben und im Sommer 2020 ein besonders absurdes Vorhaben aus dem PAG für hinfällig erklärt: Das Södersche Prestigeprojekt der Bayerischen Grenzpolizei. Der Verfassungsgerichtshof hat die Staatsregierung daran erinnert, dass Bayern nun mal ein Teil der Bundesrepublik Deutschland ist, und hat klargestellt, dass diese sogenannte Grenzpolizei über keinerlei grenzpolizeilichen Befugnisse verfügen darf. Grenzschutz ist Bundesrecht. Die entsprechende Rechtsgrundlage im PAG (Art. 29 PAG) wurde für verfassungswidrig erklärt.
Als einziges Zugeständnis an die zivilgesellschaftlichen Proteste setzte das Innenministerium eine Expertenkommission ein, die das PAG evaluieren sollte. Allerdings nur mit einem sehr schmalen Prüfauftrag. Entgegen der eigenen großspurigen Ankündigung nach den Massenprotesten, hat die Staatsregierung die Expertenkommission nicht damit beauftragt, zu prüfen, ob das Gesetz gegen die Verfassung verstößt. Das wollte man lieber nicht unabhängig untersuchen lassen.
Dennoch kam die Kommission im Ergebnis zu einer überraschend deutlichen Kritik am PAG. Vor allem die Ausgestaltung der Präventivhaft – die wir Grüne von Anfang an als problematisch erkannt und kritisiert hatten und gegen die wir klagen, hat vor der Kommission nicht bestanden. Auch der Begriff der „drohenden Gefahr“ wurde von der Kommission als problematisch identifiziert.
Der Bayerische Ministerpräsident hat nach der Wahlniederlage eine verbale Kurskorrektur vorgenommen. Im vergangen Sommer hat er öffentlich eingeräumt, dass er zu Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2018 „schwere Fehler“ begangen habe. Einen Fehler einzugestehen ist jedoch nur der erste Schritt. Wer schlechte und verfassungswidrige Gesetze schreibt und erlässt muss diese korrigieren – das werden wir Grüne auch weiterhin einfordern!