Pressemitteilung
Staatsregierung muss eigenes Lagebild zu israelfeindlichen Versammlungen erstellen!
Neue Erkenntnisse von RIAS Bayern zu hoher Zahl antisemitischer und israelfeindlicher Vorfälle bei Veranstaltungen in Bayern in den letzten drei Monaten des Jahres 2023 / Katharina Schulze: „Staatsregierung hat gewaltiges Erkenntnisdefizit.“
Die Antworten der Staatsregierung auf eine Anfrage der Landtags-Grünen zu „Israelfeindliche Versammlungen in Bayern und Solidaritätskundgebungen der Hamas“ stehen teils im Widerspruch zu Erkenntnissen der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (RIAS Bayern). Das zeigt die aktuelle Auswertung „Dokumentierte antisemitische Versammlungen im Freistaat 7.10.2023 – 31.12.2023″, die RIAS Bayern der Grünen Landtags-Fraktion zur Verfügung gestellt hat.
Zentral ist:
- Laut Antwort auf unsere Anfrage liegen der Staatsregierung und den bayerischen Sicherheitsbehörden keine Erkenntnisse über Versammlungen israelfeindlicher Initiativen oder Bejubelungen der Taten der Hamas nach dem 7.10.23 in Bayern vor. Es hätten lediglich Versammlungen stattgefunden, die zur Solidarität mit Palästina aufriefen. Dort sei es hauptsächlich um die Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung gegangen.
- Das ist völlig unverständlich und steht im Widerspruch zu Erkenntnissen der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (RIAS Bayern).* Sie dokumentierte allein zwischen dem 7.10.2023 und dem 31.12.2023 65 Versammlungen mit Bezug zum Terrorangriff der Hamas auf Israel, auf denen es zu antisemitischen Vorfällen kam.
Weitere Erkenntnisse aus den Antworten auf die Anfrage der Landtags-Grünen:
- Nach Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden halten sich derzeit etwa 450 Anhänger der Hamas in Deutschland auf, davon vereinzelte Personen in Bayern. Gesicherte Erkenntnisse über Vereine und Organisationen welche der Hamas, dem Islamischen Dschihad, der PFLP oder der Gefangenenhilfe ‚Samidoun‘ nahestehen, gebe es nicht. Diese dürftige Erkenntnislage der zuständigen Sicherheitsbehörden ist beunruhigend!
- Zur Versammlung vom 9.10.23 in München, angemeldet durch den Verein „Palästina Spricht“, ermittelt das Polizeipräsidium München in mehreren Fällen (s. S. 5, Antwort Innenministerium). Ein Redner hatte sich offen mit dem bewaffneten palästinensischen Widerstand solidarisiert. Angemeldet wurde die Versammlung vom Verantwortlichen für den Instagram-Account „palaestinaspricht_muc“. Er sei als Versammlungsleiter für pro-palästinensische Versammlungen bekannt. Mitgliedern der Gruppe „Palästina Spricht München“ hätten nach den Terrorangriffen des 7. Oktober 2023 weitere Versammlungen in Bayern organisiert und durchgeführt. In diesem Zusammenhang seien wiederholt Parolen und Slogans verwendet worden, die den Anfangsverdacht der Volksverhetzung erfüllen.
Weitere Erkenntnisse von RIAS Bayern:
- RIAS Bayern dokumentierte zwischen dem 7.10.2023 und dem 31.12.2023 75 Versammlungen im Freistaat, auf denen etwa in Redebeiträgen, Parolen, auf Transparenten, Schildern, Kleidungsstücken, Fahnen, im Aufruf oder ähnlichem antisemitische Inhalte verbreitet wurden. 65 der 75 Versammlungen hatten einen Bezug zu den Terrorangriffen der Hamas am 7.10.23.
- RIAS Bayern skizziert detailliert Vorkommnisse, u.a.:
- 13.10.23: Versammlung von 300 Menschen auf dem Münchner Odeonsplatz trotz Verbot: U.a. Skandieren der Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“, Landkarte ohne Israel, Arabischer Schriftzug „Jerusalem gehört uns, wir kommen“, Rufe „Blut und Seele für Al Aqsa opfern“
- 11.11.23: München, Großdemo mit mehreren tausend Teilnehmenden, u.a. spricht Redner Israel Existenzrecht ab
- 12.11.23: Coburg, Demonstration mit antisemitischen Vorfällen: Landkarte ohne Israel, Holocaust-Vergleiche
- 26.11.23, Demonstration in Nürnberg: Antisemitische Motive, Werbung für antisemitische BDS-Kampagne und Holocaust-Vergleiche (‚One Holocaust does not justify another‘)
- 9.12.23: Kundgebung in Regensburg: Antisemitische Motive, u.a. mit Kunstblut beschmierte Stoffbündel die tote palästinensische Kinder darstellen sollen.
- 16.12.23: Nürnberg, antisemitische Motive, Werbung für antisemitische BDS-Kampagne
Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen, erklärt:
„Es macht fassungslos, wie blind die Staatsregierung dem Treiben israelfeindlicher Initiativen gegenübersteht. Offenbar hat sie ein gewaltiges Erkenntnisdefizit. Dabei ging es bei pro-palästinensischen Kundgebungen und Demonstrationen nach dem 7. Oktober vielfach nicht um Solidarität, sondern schlicht darum, das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen. Die Staatsregierung muss ihre Fehleinschätzung umgehend korrigieren. Sie darf die Mobilisierungsfähigkeit dieser Szene nicht weiter unterschätzen.“
„RIAS spricht angesichts der zahlreichen antisemitischen Vorfälle und Angriffe von einer nie dagewesenen ‚Explosion des Antisemitismus in Bayern‘. Es wundert nicht, dass sich viele Jüdinnen und Juden auch hier im Freistaat nicht mehr sicher fühlen. Wir Grüne erwarten von der Söder-Aiwanger-Regierung, dass sie für unsere israelischen Mitbürgerinnen und Mitbürger einsteht. Sie muss ein eigenes Lagebild zu antiisraelischen und antisemitischen Versammlungen erstellen und dem Landtag hierzu Bericht erstattet. Die skandalösen Aussagen in der Beantwortung unsere schriftlichen Anfrage müssen umgehend korrigiert werden.“
„Die Staatsregierung kann sich auch nicht einfach darauf zurückziehen, dass die RIAS Auswertung erst jetzt vorliegt. Bereits im November warnte die Stelle vor einem sprunghaften Anstieg antisemitischer Vorfälle. Es reicht zudem nicht aus, dass lediglich eine zivilgesellschaftliche Organisation antisemitische Vorfälle erfasst und dokumentiert. Die bayerischen Sicherheitsbehörden müssen selbst tätig werden.“
Felix Balandat, RIAS-Bayern-Sprecher, sagt:
„Der antisemitische Massenmord der Terrororganisation Hamas, die bestialische Folterung der Opfer, die sexualisierte Gewalt, die Schändung der Leichen, das Entführen von Zivilisten hat in Bayern nicht zu einer Einsicht unter israelfeindlichen Akteuren gesorgt, sondern noch mehr Antisemitismus nach sich gezogen.“
„Israelbezogener Antisemitismus muss ernst genommen werden und entsprechend Eingang in die schulische und außerschulische Bildung finden. Strafbare antisemitische Handlungen müssen von den Strafverfolgungsbehörden entsprechend erkannt und geahndet werden können.“
Die Landtags-Grünen fordern:
- Die Staatsregierung muss ein eigenes Lagebild erstellen und sich einen Überblick über israelfeindliche Versammlungen und antisemitische Vorfälle im Zusammenhang mit dem Angriff der Hamas verschaffen. Über die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden sollte dann dem Landtag berichtet werden.
- Die fehlerhafte und politisch fragwürdige Beantwortung unserer Anfrage muss umgehend korrigiert werden.
- Es muss genau geprüft werden, ob es zu weiteren antisemitischen Vorfällen und Straftaten von Versammlung des Vereins „Palästina spricht“ gekommen ist. Laut der Dokumentation von RIAS hat sich der Anmelder der Kundgebung vom 9.10.23 in München mehrfach explizit mit dem ‚bewaffneten Widerstand‘ der Palästinenser solidarisiert. Auf dem zentralen Banner des Veranstalters wurde mit der Parole ‚From the river to the sea – Palestine will be free‘ das Existenzrecht Israels bestritten. Diese Parole wurde am 2.11.2023 als Kennzeichen der Hamas vom Bundesinnenministerium verboten. Die gesamte Versammlung in München ist also als antisemitische Kundgebung zu bewerten.
- Es bedarf einer konkreten Gefahrenprognose für Versammlungen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährden. Gerade bei einer so großen Zahl von antisemitischen Versammlungen in Bayern in einem kurzen Zeitraum, muss die Staatsregierung prüfen, wie Veranstaltungen, bei denen der Terror der Hamas legitimiert oder das Existenzrecht Israels bestritten wird, möglichst schon präventiv unterbunden oder durch Auflagen beschränkt werden können. Versammlungen, bei denen terroristische Aktionen gebilligt oder legitimiert werden, sollten zukünftig möglichst bereits im Vorfeld untersagt oder am Veranstaltungstag umgehend beendet werden.
- Antisemitische Straftaten, wie die Billigung von Terrorangriffen oder die Bedrohung jüdischer Menschen und Einrichtungen, müssen mit aller Konsequenz und Härte auch juristisch sanktioniert werden.
- Israelbezogener Antisemitismus muss bei der Erfassung antisemitischer Vorfälle und Straftaten als eigene Kategorie eingeführt werden.
*Hinweis:
Die nun vorliegende Auswertung von RIAS Bayern ist nicht der erste Hinweis auf antisemitische Vorfälle im Freistaat. Bereits im November 2023 veröffentlichte die Recherche und Informationsstelle Antisemitismus aktuelle Zahlen. Demnach wurden 148 antisemitische Vorfälle in Bayern zwischen dem 7. Oktober und dem 9. November 2023 dokumentiert. Das sind dreimal so viele wir im Vorjahreszeitraum. https://report-antisemitism.de/rias-bayern/