Positionspapier Sportpolitik
Grüne Fanpolitik: Für ein vielfältiges Miteinander
Ich bin Teil der Bundesarbeitsgemeinschaft Sportpolitik von Bündnis 90/Die Grünen. Wir begreifen Sportpolitik nicht nur als Politik für Sporttreibende und Sportorganisationen, auch Fanpolitik ist ein elementarer Bestandteil bündnisgrüner Sportpolitik. Gemeinsam haben wir ein Positionspapier (PDF) für ein vielfältiges Miteinander in der Fanszene erarbeitet.
Gemeinsames Sportschauen, insbesondere in Stadien, ist für viele Menschen weit mehr als reiner Sport-Konsum. – Katharina Schulze
Das Fan-Sein ist für viele Menschen ein wichtiger Teil ihrer Identität. Das Fußballstadion ist ein besonderer Ort der Begegnung, in dem sich aktive Fans auch sozial und politisch engagieren. Weil sich gerade im Fußball, nicht nur im Stadion, viele Tausende Fans – darunter sehr viele Jugendliche und junge Erwachsene – aktiv einbringen, Partizipation einfordern und aktiv mit gestalten, beschäftigen wir Grüne weiter mit dieser vielfältigen Fankultur.
Wir Grüne treten für eine vielfältige Fankultur ein. Egal ob Familie, Event-Fan, Kutte, Groundhopper*in, Alles-Fahrer*in, organisierter Fan, fanpolitisch Aktive*r oder Ultra: Jede*r hat ihren und seinen Platz im Stadion oder in der Halle.
Die Verengung politischer Diskussionen über Fußballfans allein auf Sicherheitsfragen und zu ergreifende, immer schärfere Repressionsmaßnahmen greift bei Weitem zu kurz. Grüne Fanpolitik sieht Fußballfans nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung.
Fans geben ihre Bürger*innenrechte nicht am Stadiontor ab
Wir beobachten mit Sorge, dass Grund- und Bürger*innenrechte von Fußballfans immer wieder offen in Frage gestellt und missachtet werden.
Der politische Diskurs über Fußballfans wird zu oft von populistischen Law-and-Order-Forderungen bestimmt und ist häufig von Unkenntnis der Fankultur geprägt. – Katharina Schulze
Zudem drängt sich seit Jahren der Eindruck auf, dass dieser Bereich immer wieder als Testfeld für Sicherheitsmaßnahmen in anderen gesellschaftlichen Bereichen genutzt wird.
Polizeibehörden haben intransparente und oft über lange Zeit geheim gehaltene Datensammlungen über Fußballfans angelegt. In der sogenannten Datei „Gewalttäter Sport“ sind bei Weitem nicht nur Gewalttäter*innen gespeichert.
Wir fordern grundlegende Reformen dieser Datensammlungen. Betroffene Personen müssen proaktiv von den Behörden über eine Speicherung unterrichtet werden, wie es beispielsweise bereits in Bremen und Rheinland-Pfalz praktiziert wird, damit sie rechtlich dagegen vorgehen können. Die Daten unschuldiger Fans müssen umgehend, etwa nach einem Freispruch oder der Einstellung des Verfahrens, gelöscht werden.
Obwohl hinlänglich bekannt ist, dass Strafverschärfungen nicht zu einer höheren Abschreckungswirkung führen, diskutieren diverse Innenminister*innen in regelmäßigen Abständen völlig überzogene Maßnahmen gegen Fußballfans. Statt populistischer Law-and-Order-Politik mit immer neuen Strafverschärfungen brauchen wir eine faktenbasierte Sport- und Innenpolitik, die sich auch an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert.
Gegen Fans werden immer häufiger auch unverhältnismäßige Aufenthaltsverbote nach den Polizeigesetzen der Bundesländer für das Stadionumfeld oder ganze Städte ausgesprochen. Wir fordern daher einen deutlich eingeschränkten Umgang mit dem für den Fans schwerwiegenden Aufenthaltsverbot.
Den regelmäßigen Versuch, einen „gläsernen Fußballfan“ zu schaffem mit z. B. Zwang zu personalisierten Tickets, Nacktscannern und tief in die Grundrechte eingreifende Leibesvisitationen vor Kurven und Stadien, lehnen wir entschieden ab.
Auch die COVID-19-Pandemie darf nicht zu einer Normalisierung der pandemiebedingt kurzfristig eingeführten Freiheitseinschränkungen wie personalisierte Tickets, Rückverfolgbarkeit und Datenspeicherung von anwesenden Fans, Verbot von Gästefans und genereller Untersagung von Ausnahmegenehmigungen für Alkoholausschank führen.
Wir fordern:
- Reformen der Datei „Gewalttäter Sport“ und der SKB-Dateien, u.a. mit Benachrichtigungspflicht bei Speicherungen, transparenten
- Widerspruchsmöglichkeiten, Reduzierung der Einspeicherungsgründe
- Reformen der Stadionverbotsrichtlinien unter Einbindung von Fanexpert*innen aus den Fußballvereinen und sozialpädagogischer Fanprojekten
- Grundsätzlicher Verzicht des DFB auf Kollektivstrafen
Fußballfans und Polizei: Feindbilder aufbrechen, Dialog intensivieren
An Spieltagen kommt es bisweilen zu Konflikten zwischen Fußballfans und der Polizei. Sowohl Fußballfans als auch Einsatzkräfte beklagen mangelnde Kommunikation, fehlendes Verständnis und aggressives Auftreten. Über Jahre haben sich an vielen Standorten wechselseitige Feindbilder manifestiert.
Das gegenseitige Verständnis muss verbessert, Feindbilder und Stereotype müssen weiter abgebaut werden. – Katharina Schulze
Dazu gehört, dass Wissen über Fankultur besser in der Polizeiausbildung vermittelt wird. Polizeiliches Handeln muss aber auch verständlich kommuniziert werden.
Grundsätzlich tragen deeskalierende Einsatzstrategien, etwa reduzierte Polizeipräsenz bei Nicht-Risiko-Spielen, meist nachweislich zur Entspannung der Situation bei. Die Einstufung von Fußballspielen als „Hochrisikospiele“ muss transparenter gestaltet werden.
Um etwaiges Fehlverhalten der Polizei aufklären zu können und das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und den Rechtsstaat zu stärken, fordern wir eine anonymisierte Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen und die Einrichtung von unabhängigen Polizeibeauftragten in den Ländern und im Bund, die als Anlaufstelle für Menschen innerhalb und außerhalb der Polizei wie auch Bürger*innen- und Menschenrechtsorganisationen zur Verfügung stehen.
Der verstärkte Einsatz von Fußballfansonderzügen kann dazu beitragen, die Einsatzbelastung der Polizei an Spieltagen zu reduzieren und gleichzeitig andere Bahnreisende zu entlasten.
Die Verwendung von Pyrotechnik ist oft der Grund für Polizeieinsätze beim Fußball. Der rein repressive Umgang mit Pyrotechnik ist offenkundig gescheitert. Modellversuche mit „Kalter Pyrotechnik“ in Dänemark oder Sondergenehmigungen zum kontrollierten Einsatz von Pyrotechnik, wie beim Hamburger SV im Februar 2020 erfolgreich getestet, zeigen, dass es alternative Ansätze gibt, die die Sicherheit für alle im Stadion gewährleisten.
Wir fordern:
- Deeskalierende Einsatzstrategien, etwa reduzierte Polizeipräsenz bei Nicht-Risiko-Spielen
- Unterstützung von Kommunikations- und Dialogformaten für Fans, Klubs und Sicherheitsbehörden
- Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen und unabhängige Polizeibeauftragte
- Mehr Fußballfansonderzüge
- Freiräume zum kontrollierten Umgang mit Pyrotechnik
Mit Prävention gegen Rechtsextremismus und Gewalt
Seit vielen Jahren versuchen Rechtsextreme und andere Menschenfeind*innen den Fußball als ihre Plattform zu instrumentalisieren. An vielen Standorten war und ist es die aktive Fanszene, oft die Ultras, die rechtsextreme Strukturen im Stadion zurückdrängen. Diese Bemühungen müssen von Fußballklubs, Fußballverbänden und Politik anerkannt und unterstützt werden und dürfen nicht kriminalisiert werden.
Viele Faninitiativen stoßen wichtige Debatte über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Fußball und in der Gesellschaft an. – Katharina Schulze
Mit einem Bundesprogramm zur Prävention von Rechtsextremismus und anderer Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Sport wollen wir solche Initiativen besser als bisher unterstützen.
Stadion-Ordner*innen müssen im Umgang mit Rechtsextremismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geschult werden. Die Veranstalter*innen müssen sicherstellen, dass das eingesetzte Ordnungspersonal selbst keine Verbindungen zur rechtsextremen Szene hat, wie das an manchen Standorten leider der Fall ist.
Die mittlerweile 61 vereinsunabhängigen sozialpädagogischen Fanprojekte und ihre Koordinationsstelle (KOS) leisten enorm wichtige Soziale Arbeit im Fußballumfeld. Sie fördern eine positive Fankultur, sind aktiv in der Gewaltprävention und Demokratiestärkung, leisten Hilfestellung für meist jugendlichen Fans in Problemlagen und kommunizieren zwischen den am Fußball beteiligten Parteien.
Die Arbeit der Fußballfanprojekte braucht weiterhin verlässliche und angemessene finanzielle Rahmenbedingungen. DFL und DFB sowie Bundesländer und Kommunen müssen sich zu einer langfristig gesicherten auskömmlichen Finanzierung der Fanprojekte und ihrer Koordinationsstelle bekennen.
Für die Arbeit der Fanprojekte ist das Vertrauen ihrer Klientel unabdingbar. Es darf nicht sein, dass Fußballfanprojektmitarbeiter*innen zu Ermittlungszwecken von der Polizei herangezogen und dazu gezwungen werden, gegen ihre eigene Klientel auszusagen. Wir fordern daher ein Zeugnisverweigerungsrecht für Fanprojektmitarbeiter*innen und alle Mitarbeiter*innen der Sozialen Arbeit durch deren Aufnahme in den Kreis der Berufsgruppen des § 53 Abs. 1 StPO.
Als zentralen Partner der Fanprojekte hat sich die professionelle Fanarbeit der Klubs entwickelt. Allerdings sind die Fanbeauftragten der Klubs nur in der Bundesliga und 2. Bundesliga der Männer unter Zuständigkeit der DFL auch verpflichtend. Wir wollen die professionelle Fanbetreuung auf weitere Ligen ausweiten.
Wir fordern:
- Langfristige Finanzierungssicherheit für die Fanprojekte durch DFL, DFB sowie Bundesländer und Kommunen in auskömmlicher Höhe
- Zeugnisverweigerungsrecht für Fanprojektmitarbeiter*innen und alle Mitarbeiter*innen der Sozialen Arbeit durch deren Aufnahme in die geschützten Berufsgruppen des § 53 Abs. 1 StPO
- Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus im Sport
- Präventionsprogramme im Extremkampfsport
Ein inklusives Stadion für alle
Der Zuschauer*innensport Fußball muss endlich inklusiv werden. – Katharina Schulze
Das bedeutet, dass Barrieren für Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten, unterschiedlichster Fähigkeiten, Geschlechter, sexueller Orientierung, Religionen und Herkunft in Stadien und im Vereinsleben weiter abgebaut und Teilhabemöglichkeiten optimiert werden.
Konkret sollten Alternativen zu isolierten Bereichen für Fans mit Behinderung im Stadion im Sinne der Wahlfreiheit geschaffen werden. Stadioninfrastruktur sollte auch dem demographischen Wandel dringend Rechnung tragen und angepasst werden.
Da Fankurven, wie Vereins- und Verbandsstrukturen, meist männlich dominiert sind, gilt es die geschlechterreflektierende Fanarbeit weiter zu fördern. Wir begrüßen, dass der DFB bei diesem Thema bereits aktiv geworden ist, und fordern auch die Stadioneigentümer*innen auf, noch sehr viel stärker tätig zu werden.
Grundsätzlich gilt, dass von Vereinen und Verbänden nach außen vertretene Werte, wie bspw. Vielfalt und Anti-Diskriminierung, auch innerhalb der eigenen Strukturen gelebt werden müssen. Um die Vielfalt der Gesellschaft auch in den Gremien des Fußballs abzubilden, erscheint uns eine Geschlechterquote, wie sie bereits beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) gut funktioniert, bspw. auch für die Gremien des DFB und seiner Landesverbände als ein zielführendes Mittel.
Ein besonderes Augenmerk muss auf die Prävention sexualisierter Gewalt und Diskriminierung im Zuschauer*innensport Fußball gelegt werden. Alle Akteur*innen im Fußball sollten für dieses Thema sensibilisiert und eindeutige Positionierungen in Satzungen und Leitbildern verankert werden.
In Zusammenarbeit mit allen Akteur*innen müssen lokale Handlungskonzepte, u.a. mit der Einrichtung eines Beschwerdemanagements, entwickelt werden. Wir begrüßen, dass schon ein paar Profiklubs in dieser Hinsicht aktiv geworden sind und Anlaufstellen und Hilfetelefone eingerichtet haben bzw. ihr Ordner*innenpersonal gezielt geschult haben.
Beratungsangebote für Inklusion und Vielfaltsmanagement und die Schaffung einer übergeordneten, unabhängigen Anlaufstelle zur Qualifizierung von Organisationen, Fans, aber auch für Betroffene von Diskriminierung im Fußball zur Ergänzung bzw. Vernetzung mit lokalen Strukturen sind überfällig – entsprechende Rufe seitens Fans und Vereinen existieren schon seit vielen Jahren.
Wir fordern:
- Umfassende Barrierefreiheit in Stadien und im Vereinsleben
- Lokale Handlungskonzepte zur Prävention sexualisierter Gewalt
- Schulungen von Ordnungsdiensten und Polizei zum sensiblen Umgang mit diversen Zielgruppen
- Einrichtung einer unabhängigen, bundesweiten Anlaufstelle zum Diskriminierungsschutz im Fußball
Wem gehört der Fußball?
Wir treten ein für einen basis-nahen, transparenten und demokratisch verfassten Fußball, der sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltig ist. – Katharina Schulze
Der Fußball in der Bundesrepublik ist größtenteils in demokratischen Vereins- und Verbandsstrukturen organisiert. Die Mitbestimmung von Vereinsmitgliedern darf nicht zur Disposition gestellt werden.
Eine zentrale Rolle spielt hierbei die 50+1-Regel, die sicherstellt, dass Fußball nicht zur Spielwiese von Investor*innen wird. Diese dürfen wie alle anderen Mitglieder mitbestimmen, aber nicht über diese hinweg. Auch würde ein großflächiger und unregulierter Einstieg von Investor*innen nicht zu mehr Wettbewerb in der Spitze führen, da vor allem die Top Klubs für diese interessant sind.
Fußball bringt verschiedenste gesellschaftliche Schichten zusammen, welche sich im normalen Leben nicht begegnen würden. Jede*r sieht im Stadion das gleiche Spiel. Diese Vielfalt gilt es zu bewahren und auszubauen. Um das Stadion als Raum der Begegnung zu erhalten, sind Stehplätze und solidarisch gestaltete Ticketpreise unabdingbar.
Politische Statements im Stadion, auch Kritik an der Politik der Vereine und Verbände, dürfen nicht sanktioniert werden so lange sie sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen bzw. müssen im Rahmen der geltenden Rechtsprechung behandelt werden, sofern sie Anlass für eine solche Bewertung bieten.
Nicht erst durch die Folgen der COVID-19-Pandemie wurden die diversen Problemlagen des Fußballs offenkundig: Mangelnde wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit, ungerechte Verteilung der TV-Einnahmen, exorbitante Spielergehälter und Beraterhonorare und vieles mehr. Für all diese Probleme müssen nun unter Einbindung aller beteiligten Akteur*innen, insbesondere auch der Fans, Lösungen erarbeitet werden, um den deutschen Fußball nachhaltig aufzustellen und der bereits weit um sich greifenden Entfremdung der Fans Einhalt zu gebieten.
Wir fordern:
- Erhalt und Sicherung der 50+1-Regel
- mehr Mitbestimmung von Fans in Klubs und Verbänden
- Erhalt von Stehplätzen und sozialverträglichen Eintrittspreisen
- Beteiligung aller Akteur*innen am Reformprozess des Fußballs
Weitere Informationen entnehmen Sie bitte unserem Positionspapier (PDF).