Katharina Schulze

Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag

Rede im Plenum

Die Menschen in unserem Land erwarten, dass jetzt gehandelt wird!

23. November 2021 in Anträge und Anfragen, Im Parlament |

Am 23.11.2021 haben wir im Plenum des Bayerischen Landtags erneut über Corona diskutiert. Ich habe in der Rede für uns Grüne klar gemacht, worauf jetzt der Fokus gelegt werden muss: Es darf keine falsche Rücksichtnahme mehr gegenüber Impfverweiger*innen mehr geben, die Staatsregierung muss jetzt entschlossen handeln! Es braucht u. a. die Bundeswehr per Amtshilfe zur Unterstützung in den Kliniken, flächendeckende PCR-Pooltests in den Regionen, in denen eine Kontaktverfolgung durch die Gesundheitsämter aufgegeben wurde, sowie PCR-Pooltests in Seniorenheimen und Lolli-PCR-Pooltests in den Kitas Außerdem müssen wir Impfungen auch durch Apotheken anbieten.

 

Hier meine Rede:

Vertrauen in Handlungsfähigkeit des Staates erschüttert

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Staates wurde in den letzten Wochen erneut erschüttert. Das schmerzt mich sehr.

Ich bin in die Politik gegangen, weil ich davon überzeugt bin, dass Politik dafür da ist, das Leben aller Menschen besser zu machen. Dass Politik dafür da ist, rechtzeitig die großen Herausforderungen zu erkennen und vorausschauend zu handeln.

Und dass es in sich zuspitzenden Krisen auf Politik ankommt – vor allem, wenn es um das Leben von Menschen geht.

Söder-Regierung hat nicht geliefert

Schaue ich mir jetzt die fast 2 Jahre der Coronapandemie an, so stelle ich jedoch fest: Wir stehen in Bayern im Herbst 2021 – trotz einer Impfung! – schlechter da als im Herbst 2020.

Die Wissenschaft hat geliefert mit ihren präzisen Voraussagen. Die forschenden Unternehmen haben geliefert und nach nur 12 Monaten einen wirksamen Impfstoff bereitgestellt – was für ein Segen. Die Menschen in den Gesundheitsberufen liefern jeden Tag – tausend Dank!

Aber diese Regierung mit diesem Wissen und diesen Handlungsmöglichkeiten hat nicht ausreichend geliefert.

Kliniken sind am Limit

Die Impfquote ist in Bayern beschämend gering, ständig gibt es neue verwirrende Regeln, weil es keine stringente Pandemiebekämpfung gibt, die Intensivstationen sind voll, Tumoroperationen müssen verschoben werden, das Personal ist am Limit und darüber hinaus, Kinder und Jugendliche sind erneut die Leidtragenden der Pandemie und es wird in diesem Winter täglich weitere vermeidbare Tote in Bayern geben. Und zwar jeden Tag.

Das alles wurde der Politik genauso von den Expert*innen für diesen Herbst vorausgesagt, wenn nicht die passenden Maßnahmen ergriffen werden. So zu tun, als sei selbst Expert*innen jetzt überrascht, ist einfach nur dreist, Herr Söder. Und damit kommen Sie auch nicht durch.

Clemens Wendtner, Chefarzt Infektiologie Klinikum Schwabing hat z. B. Ende Juli gesagt: Es gelte „jetzt bereits an den Herbst zu denken und nun das Impftempo noch einmal deutlich anzuziehen.“

Impfkampagne stockt

Und was geschah in Bayern? Bis Ende Juli hatten wir 59% Erstgeimpfte. Seitdem sind in vier Monaten bis heute gerade mal 9% weitere Geimpfte dazugekommen.

Und anstatt sich darum zu kümmern, dass nicht nur die Proaktiven ihre Impfung bekommen, sondern an jede Ecke ein Impfmobil steht und jede*r mit einem Impftermin angeschrieben wird, hat die FDP vom Freedom Day geschwafelt, Hubert Aiwanger Ängste über die Impfung geschürt und Markus Söder Wahlkampf gegen einen angeblichen “Linksrutsch” gemacht und die Impfzentren runtergefahren.

Diese niedrige Impfquote hat uns in die katastrophale Lage gebracht, in der wir nun sind. Das nervt. Das schmerzt. Das ist ermüdend. Ich fühle mit allen Menschen mit, die sich seit fast 2 Jahren an alle Regeln halten und jetzt wieder in die Röhre gucken und zusätzliche Belastungen stemmen müssen.

Impfgegner*innen nicht weiter Vorrang geben

Die Frage, die wir beantworten müssen, ist doch folgende: Schützen wir Ältere, Kinder und Menschen, die eine lebensnotwendige Operation benötigen? Oder haben die Impfunwilligen Vorrang?

Hier läuft die Trennlinie, hier müssen wir uns entscheiden. Es gibt legitime Konflikte, die eine Gesellschaft austragen muss, wenn sie ihre Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit und Freiheit bewahren will. Der Konflikt mit Querdenkern und Impfgegnern ist so einer.

Ein solcher Konflikt hält die Menschen zusammen, die die genannten Werte teilen. Eine laute kleine Minderheit diktieren zu lassen – das lässt die Gesellschaft bröckeln. Eine pluralistische Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass sie diese Konflikte führt.

Ich finde, die Politik hat viel zu lange der lauten schreienden Minderheit der Impfgegner und Vulgär-Freiheitsideologen zugehört und aus Angst, Überzeugung oder was ich ganz besonders schlimm fände –aus Kalkül nicht die passenden Maßnahmen rechtzeitig ergriffen.

Einige wollten den Impfverweigerern nicht zu viel zumuten, aus Furcht die Gesellschaft zu spalten. Diese falsche Rücksichtnahme kaschiert am Ende politische Entscheidungsschwäche.

Ich frage: Ist es denn das wert? Tausende Tote, schwer belastete Kinder – psychische Erkrankungen haben drastisch zugenommen völlig ausgebranntes medizinisches Personal und Pflegekräfte, vereinsamte Ältere: all diejenigen müssen jetzt in der vierten Welle wieder alles ausbaden.

Das wird Millionen von Menschen zugemutet – und das ist doch die wahre Spaltung unseres Landes.

Wenn ich Ihnen, Markus Söder, so zuhöre, dann habe ich schon das Gefühl, dass Sie mit der momentanen Situation nicht zufrieden sind, dass Sie das auch umtreibt.

Keine Selbstreflexion bei der Staatsregierung

Aber wissen Sie was ich bei Ihnen vermisse: auch nur ein Funken, nur ein Funken Selbstreflexion und Selbstkritik. Bei Ihnen sind meistens die “anderen” Schuld – die Koalition auf Bundesebene, die Länder an den Grenzen Bayerns, die sorglosen und unvernünftigen Bürger*innen wie Sie bei vielen öffentlichen Äußerungen durchblicken lassen: Sie haben ja “alles getan”, Sie haben keine Fehler gemacht.

Das würde ich so nicht unterschreiben. Die Corona-Bilanz Bayerns in Zahlen steht für sich. Natürlich hat die Politik Fehler gemacht. Und natürlich haben auch Sie Fehler gemacht.

Ja, Vertreter*innen aller Parteien haben Fehler gemacht. Der größte Fehler war der, dass erneut das Prinzip Hoffnung über den Sommer galt, anstatt passende Vorkehrungen zu treffen.

Wissen Sie, Herr Söder, Verantwortung zu haben und diese dann auch zu übernehmen, gehören zusammen. Selten wurden Vernunft und Logik dermaßen mit Füßen getreten wie in dieser Pandemie.

Wie meinte mal ein kluger Kopf: “Wenn du eine Entscheidung treffen musst und triffst sie nicht, ist das auch eine Entscheidung”. Und genau das haben Sie über den Sommer getan, Herr Söder – und das müssen Sie verantworten.

Grüne Forderungen

Kolleginnen und Kollegen, die Menschen in unserem Land erwarten, dass jetzt gehandelt wird. Für mich steht daher heute die entscheidende Frage im Mittelpunkt: Was muss getan werden und reichen die von Ihnen vorgeschlagene Maßnahmen?

Wir glauben, sie reichen nicht um die Situation in den Krankenhäusern zu entspannen. Deswegen braucht es aus grüner Sicht kurzfristig folgende Maßnahmen zusätzlich:

Wir brauchen die Bundeswehr per Amtshilfe zur Unterstützung in den Kliniken, damit das medizinische Personal schnell entlastet wird, flächendeckende PCR-Pooltests in den Regionen, in denen eine Kontaktverfolgung durch die Gesundheitsämter aufgegeben wurde, um möglichst alle Fälle zu finden, regelmäßige und kostenlose PCR-Tests für Geimpfte ermöglichen, Impfen und Boostern auch durch Apotheken anbieten, um mehr Impfmöglichkeiten schaffen und gezielten Boostern in Pflegeheimen! PCR-Pooltests in Seniorenheimen, Lolli-PCR-Pooltests in den Kitas, um die Bildungs- und Betreuungsgebote offen zu halten.

Kinder dürfen nicht Leidtragende werden

So kraftraubend es ist – ein viertes Mal heißt es für uns Erwachsene, dringlicher denn je: Kontakte herunterfahren, Infektionskurve drücken. Das gilt für uns Erwachsene, denn für Kinder und Jugendliche sollten wir wo immer möglich Freizeitangebote offenhalten.

Die Stiko sagt ganz klar, dass Kinder nicht bezüglich des Impfstatus von sozialer Teilhabe ausgeschlossen werden dürfen – darum ist ihre pragmatische Übergangsregel von heute nur Schadensbekämpfung.

3G muss bei Kinder und Jugendlichen reichen! Wir erwarten, dass endlich der Grundsatz “Kinder zuerst” ernst genommen wird und Erwachsene mehr schultern.

Impfen ist Ticket aus der Pandemie

Mittelfristig ist eine Impfquote von mindestens 85% das Ticket aus dieser Pandemie. Länder wie Spanien und Portugal zeigen das deutlich.

Um in Ihrer Sprache zu sprechen, Herr Söder, sorgen Sie dafür, dass Bayern Impfweltmeister wird! Dafür müssen Sie aber einen ordentlichen Zahn zulegen.

Das brauchen wir jetzt: Alle Bürgerinnen und Bürger ab 12 Jahren bekommen einen Impftermin zugeschickt, Impf-Nachtschichten an gefragten Impforten, Vorbereitung der bald zugelassenen Impfungen ab 5 Jahren, damit Eltern gut informiert sind und das organisatorisch nicht wieder im Chaos endet, eine Impfpflicht für Berufsgruppen, die in körpernahen Berufen arbeiten. Dabei gilt die in meinen Augen dann auch für Kitapersonal, Lehrerinnen und Lehrer – eben alle, die mit vulnerablen Gruppen eng zusammenarbeiten.

Impfpflicht ergebnisoffen diskutieren

Und wir brauchen eine ergebnisoffene Debatte über eine allgemeine Impfpflicht.

Es war ein Fehler, dass Teile “der Politik” am Anfang die Möglichkeit einer Impfpflicht ausgeschlossen haben.

Und es ist jetzt ein Fehler, dass SPD und FDP auf Bundesebene dies erneut ausschließen. Wenn wir diesen Alptraum Corona und die deshalb nötigen Einschränkungen beenden wollen, ist eine Impflicht für alle nach Ansicht meiner Fraktion sinnvoll.

Schneller als das Virus sein

Wir sind mittlerweile in der vierten Welle, die fünfte wird schon prognostiziert – das sind echt keine schönen Aussichten, aber niemand kann dann überrascht tun.
Ich denke seit Beginn der Pandemie immer wieder an den Dr. Michael Ryan von der WHO, der im März 2020 auf einer bemerkenswerten Pressekonferenz viele gute Sachen zur Seuchenbekämpfung gesagt hat, das wichtigste war: “Be fast, have no regrets.“ Sei schnell, bereue nichts.

Der WHO-Experte hatte recht: Wir müssen schneller werden als dieses Virus. Dafür braucht es weiterhin Führungsstärke, Mut und die Umsetzung der Lösungen, die schon lange auf dem Tisch liegen.

Und: Reflexion und echte Fehleranalyse sind die ersten Etappen auf dem Weg zu besserem Handeln. Denn „Der schlimmste aller Fehler ist, sich keines solchen bewusst zu sein.“ Das sollten wir alle beherzigen, aber erst recht der Ministerpräsident.

Wir wissen, wie wir das Virus eindämmen. Wir können aus Fehlern lernen und klüger werden und zuversichtlich sein, auch in schlimmen Zeiten, eine zutiefst menschliche Eigenschaft. So schaffen wir es, dass die vierte Welle die letzte ist.