Debatte im Plenum
Söder-Regierung nach einem Jahr Pandemie ohne Strategie
Die neuesten Beschlüsse der Ministerpräsident*innenkonferenz und des bayerischen Kabinetts sind keine Strategie gegen das Corona-Virus, das habe ich letzte Woche in meiner Rede im Plenum deutlich gemacht. Mehr Freiheiten durch mehr Sicherheit hätte das Ergebnis sein sollen. Was jedoch beschlossen wurde, läuft unter dem Prinzip Hoffnung – das ist zu dünn und gefährlich für eine globale Pandemie.
Kein Schutz vor der 3. Welle
Die Söder-Regierung hat den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht. Der Damm gegen die 3. Welle wurde nicht rechtzeitig aufgebaut. Die Inzidenzwerte steigen wieder, wir stehen also schon am Beginn der dritten Welle.
Es gibt jetzt, wo Herr Söder in vielen Bereichen öffnet, noch keine ausreichende Teststrategie, es gibt ja noch nicht einmal genügend vorhandene Schnelltests. – Katharina Schulze
Regierung kapituliert vor Virus
Das Impfen geht viel zu langsam voran und das Erreichen einer Herdenimmunität liegt in weiter Ferne. Bei der letzten Ministerpräsident*innenkonfrenz im Februar 2021 waren das noch alles Punkte, warum man nicht gelockert hat.
Jetzt sollen die gleichen Punkte für eine Lockerung herhalten? Das ist keine konsistente Politik, das ist eine Kapitulation vor dem Virus und vor dem Druck verschiedener Interessen. Und anstatt bei den Lockerungen “Kinder zuerst” als Grundsatz zu nehmen, werden noch vor der Konferenz und entgegen der Absprachen mit unseren Nachbarländern zuerst die Baumärkte in Bayern geöffnet – das alles zerstört Vertrauen.
Verantwortung nicht abschieben
Eine Pandemie bekämpft man, in dem der Staat klar handelt, diese Handlungen nachvollziehbar kommuniziert und die passende Infrastruktur zur Bekämpfung der Pandemie bereitstellt. Wenn Herr Söder jetzt sagt, das weitere Vorgehen sei entweder “Osterurlaub oder Osterlockdown – das hängt jetzt von jedem Einzelnen ab”, dann ist das zynisch.
Es hängt nicht alleine von jedem oder jeder Einzelnen ab, sondern von den Rahmenbedingungen, die er als Verantwortlicher den Menschen zur Verfügung stellt. Viele Menschen in Bayern haben gar keine Wahl, sie müssen auch bei hohen Infektionszahlen in Präsenz arbeiten gehen, oft sind es die wichtigen aber schlecht bezahlten Berufe, die nicht fürs Home Office geeignet sind.
Viele Menschen haben weiterhin nicht nur Angst um ihre Gesundheit, sondern große wirtschaftliche Ängste in dieser schlecht gemanagten Pandemie. – Katharina Schulze
Vorraussetzungen fürs Lockern schaffen
Es ist der Job der Staatsregierung, die Voraussetzungen fürs Lockern zu schaffen, indem flächendeckende Schnelltests, eine bessere Kontaktnachverfolgung durch gut ausgestattete Gesundheitsämter und mehr Tempo beim Impfen bereitgestellt wird.
Söder macht es genau umgekehrt – und wenn die Zahlen dann steigen, ist der oder die Einzelne schuld.
Wir erleben ein ein Déjà-vu
Es geht doch weiter darum, schwere Erkrankungen zu vermeiden, Menschen zu schützen und das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Daran hat sich nichts geändert. Und trotzdem erleben wir jetzt ein Déjà-vu.
Wie im Sommer 2020 warnen verschiedene Expert*innen vor der nächsten Corona-Welle und stellen berechtigterweise in Frage, ob denn die staatlichen Schutzkonzepte dafür stehen. Gleichzeitig werden Stimmen laut, die abwiegeln, die keine Lust mehr haben, die Genervtheit und der Frust steigt nachvollziehbarerweise, die Akzeptanz der Maßnahmen sinkt.
Kritik an Krisenmanagement der Regierung
Das alles ist aber nicht mit den Rufen nach vielen Öffnungen gleichzusetzen. Sondern in allererster Linie ist das der Ausdruck einer Kritik am derzeitigen Krisenmanagement und an der teils konfusen Krisenkommunikation, an der sich auch diese Staatsregierung beteiligt hat.
Wer in einer Krisensituation seine Meinungsverschiedenheiten in der Koalition auf offener Bühne austrägt, so wie CSU und Freie Wähler es regelmäßig machen, der trägt eine Mitschuld daran, wenn Vertrauen in das Krisenmanagement verloren geht.
Wenn ein Markus Söder auf der Bundespressekonferenz den harten Hund markiert und jetzt die bayerische Regierung beim Öffnen ganz vorne mit dabei ist, versteht das niemand mehr. – Katharina Schulze
CSU verspielt Vertrauen
Genauso geht Vertrauen verloren, wenn erneut Fälle des Amigo-Systems der CSU ans Licht kommen. Herr Nüsslein, ein schwäbischer CSU-Abgeordneter soll Geld für einen Deal von überteuerten Masken bekommen haben. Herr Sauter, der ehemalige CSU-Justizminister hat den Vertrag über seine Kanzlei bereit gestellt.
Der Skandal um die Maskendeals muss umfassend aufgeklärt werden – da würde ich gerne vom CSU- Parteivorsitzender mal was dazu hören, sonst ist er ja auch immer als Lautsprecher unterwegs. – Katharina Schulze
Fokus auf Kinder und Jugendliche legen
Vertrauen geht auch verloren, wenn anders geredet als gehandelt wird. Verbal tönt es wochenlang aus jeder Parteizentrale: Kinder und Jugendliche zuerst. Familien unterstützen. Gesundheitssystem entlasten.
Und in der Realität? Am Ende setzen sich wieder die durch, die Kraft, Lautstärke und Zugänge zu den Entscheidungsträger*innenn der konservativen Regierung haben.
Es ist überfällig, dass jetzt ein Fokus auf Schulen und Kitas gelegt wird. Wenn aber gleichzeitig zu viel auf einmal geöffnet wird ohne die passenden Schutzmaßnahmen – was natürlich bedeutet, dass es zu mehr Kontakten und damit zu einem höheren Infektionsrisiko kommt – dann laufen wir erneut sehenden Auges in die nächste Welle rein. Das halten wir aufgrund der Mutationen für ein gefährliches Vorgehen.
Wir wollen eine Priorisierung der Lockerungen bei den Kindern und Jugendlichen inklusive umfassender Schutzmaßnahmen – und ja, das bedeutet für Erwachsene, dass sie leider noch länger mehr schultern müssen.
Wer “Kinder zuerst” ernst meint, öffnet Kita und Schulen mit einem guten Schutzkonzept zuerst! – Katharina Schulze
Der oder die lässt andere Bereiche noch zu, ermöglicht Jugendarbeit und nimmt ordentlich Geld in die Hand für die seelischen Herausforderungen, in denen wir alle stecken, für die Aufstockung von Beratungsstellen, online, telefonisch und vor Ort.
Wir sind als politisch Verantwortliche nicht nur für den Schutz vor der Ansteckung des Corona-Virus zuständig, sondern auch, dass Kinder und Jugendliche vor den Nebenwirkungen der Pandemie geschützt sind, dass sie sich entfalten, entwickeln können. Das alles hätte man übrigens schon seit Monaten machen müssen.
Basics der Pandemiebekämpfung fehlen
Vertrauen in unseren Staat geht auch verloren, weil die Basics der Pandemiebekämpfung seit einem Jahr nicht stehen. Ich weiß, dass diese Pandemie für alle eine Zumutung ist – auch für die Menschen in Regierungsverantwortung.
Fehler passieren, nicht alles klappt sofort. Aber nach einem Jahr Pandemie kann jede*e Bürger*in von seinem Staat erwarten, dass ein Lernfortschritt erfolgt ist. – Katharina Schulze
Seit einem Jahr schränkt der Staat Grundrechte ein, um andere Grundrechte, wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, zu schützen. Das ist richtig so. Aber natürlich eine schwerwiegende Abwägung, die zu Leid in anderen Bereichen führt.
Was mich wütend macht, was mich schmerzt, was bei vielen Unverständnis hervorruft ist folgendes: Warum schafft es die Regierung seit einem Jahr nicht, mehr Freiheiten, die möglich wären, zu ermöglichen, ohne die Gesundheit zu gefährden?
Schnellteststrategie verschlafen
Es ist absolut nicht nachvollziehbar, dass wir letzte Woche erfahren konnten, dass eine Taskforce zur Beschaffung von Schnelltests eingerichtet werden soll. Der Bund hätte langst Abnahmegarantien für Schnell- und Selbsttests abgeben müssen, um die Zulassung und Produktion rechtzeitig hochzufahren.
Schnelltests sind nicht neu, Österreich testet seit dem Herbst massiv. Und da Herr Söder sich ja auf Bundesebene dazu nicht durchsetzen konnte, hätten er das für Bayern ja schon im Herbst machen können.
Baden-Württemberg hat z. B. schon ein Schnelltestkonzept. Berlin hat schon im November 12 Millionen Antigen-Schnelltest für die Schulen in Angriff genommen. Und Bayern? Natürlich hat Söder dann schnell groß rausgehauen, dass 100 Mio. Tests bestelltwerden.
Das ist mal wieder ein typischer Söder: Hauptsache eine große Zahl. Entscheidend ist doch: Sind die Tests schon vor Ort nutzbar?
Tests auch für die Kleinsten benötigt
Söder öffnet am 15. März 2021 die Schulen für die Kleinen im vollen Präsenzunterricht, testet aber bisher nur die Schüler*innen ab 15 Jahren, d. h. über eine halbe Million Schüler*innen werden ohne den Schutz durch Testungen in die Schule geschickt.
Warum sind die Tests für die Kleinsten noch nicht da, wo sind die Gurgeltests, die Pooltests? – Katharina Schulze
Die Staatsregierung hatte genug Zeit, eine wirksame Teststrategie vorzubereiten – wenn das jetzt mit dem Testen genauso super läuft wie die Verteilung des Impfstoffes – dann gute Nacht.
Wirtschaftshilfen stocken
Auch Wirtschaftshilfen fließen nicht oder viel zu langsam, Menschen stehen am Rande der Existenz – und das liegt nicht darin, dass wir keine finanziellen Mittel haben.
Nein, das liegt daran, dass die Organisation der Auszahlung nicht funktioniert. Die finanziellen Hilfen für 2020 haben im März 2021 immer noch nicht alle bekommen – ernsthaft?
Ausbauoffensive der Gesundheitsämter fehlt
Die Ausbauoffensive für die Gesundheitsämter ist immer noch nicht erfolgt, die grenzüberschreitende Taskforce zur Bekämpfung der Corona Pandemie mit Tschechien gibt es immer noch nicht – obwohl wir sie seit zehn Monaten hier fordern und in den Grenzgebieten die Zahlen weiter wahnsinnig hoch sind.
Und erst recht unser Ticket aus der Pandemie, das Impfen stockt: Erst wurde zu wenig bestellt, jetzt ist das wenige da und es wird zu langsam geimpft.
Zu den Luftreinigern an Schulen und sicherem Lehren und Lernen ist in den letzten Monaten alles gesagt. Es scheitert nicht an Innovation, verfügbarer Technik oder am Geld, es scheitert am Söder-Management!
Menschen verlieren Vertrauen
Die mangelnden Vorbereitungen von Seiten des Staates führen jetzt nach einem Jahr Pandemie dazu, dass bei einigen das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Staats sinkt. Und das sind nicht die Corona-Leugner*innen.
Das sind die Menschen, die sich seit einem Jahr zusammenreißen, Arbeit in der Pandemie und Homeschooling jonglieren, ihre alten Eltern nicht besuchen, Freund*innen nur digital treffen und sich fragen: Was macht diese Regierung eigentlich seit Monaten? Schützen die mich?
Dieser Vertrauensverlust ist fatal.
Wir bekämpfen diese Pandemie nur gemeinsam, jede und jeder an seinem Platz. Und dafür ist braucht es auch einen leistungsfähigen Staat. – Katharina Schulze
Pandemie nicht mit Bürokratie bekämpfen
Dazu kommt noch dass Deutschland sich selbst als Organisationsweltmeister sieht und dieses Selbstbild gerne kultiviert. Ja, die deutsche Verwaltung ist leistungsstark und immer getreu dem Motto “Gründlichkeit vor Schnelligkeit” unterwegs. Das ist oft sehr sinnvoll, in einer Pandemie reicht das nicht.
Wir brauchen schnell und gründlich, wir brauchen beides gleichzeitig. Dass das machbar ist, zeigen andere Länder. – Katharina Schulze
Wir brauchen Innovation
Ich bin davon überzeugt, ein Grund, warum die Situation bei uns so ist wie sie ist, liegt daran, dass – obwohl sich die Lage radikal geändert hat – in alten Mustern gearbeitet wird.
Das beginnt damit, dass niemand richtig zuständig sein will oder kann – es erfolgt ein ständiges Absichern der Verantwortlichkeit und Verschiebung der Verantwortung auf andere Ebenen. Es geht weiter damit, dass Kreativität gekillt wird, weil das vorherrschende Mantra bei vielen „lieber 110% oder gar nicht ist“ anstatt „80% passt, dann optimieren wir weiter“.
CSU/FW blockieren jede konstruktive Zusammenarbeit
Dass sich auch in der Krise wenig ändert und die Entscheidungen nach alten Mustern ablaufen, sieht man auch an diesem Parlament: Ja, in normalen Zeiten ist es so, dass die Regierungsfraktionen Oppositionsanträge ablehnen und andersrum. Aber es sind keine normalen Zeiten.
Es sterben täglich Menschen, die Menschen, die in den Krankenhäusern arbeiten sind am Limit, Existenzen sind bedroht, soziale Vereinsamung nimmt zu – aber dieser Regierung fällt lieber weiter kein Zacken aus der Krone anstatt Vorschläge, die sinnvoll sind, von der Opposition zuzustimmen.
Wenn sie uns schon nicht Recht geben will, dann sollte sie wenigstens die wichtigen Maßnahmen schnell umsetzen. “Umsetzen” und das auch noch “schnell”, ich weiß, da verlange ich viel.
Unzählige grüne Vorschläge
Da es ja immer gilt, nicht nur zu meckern, sondern es selbst besser zu machen, haben wir Grüne – neben vielen konstruktiven Vorschlägen – seit Beginn der Pandemie sinnvollen Anträgen der Regierung zugestimmt.
Ich sage ganz ehrlich: Ich könnte mir das Leben als Oppositionsführerin seit einem Jahr leichter machen, wenn ich jeden Tag immer gegen alle Vorschläge der Regierung wäre, die Schlagzeile wäre mir gewiss.
Ich müsste nicht jede neue Studie lesen, kreativ mit meiner Fraktion nach Lösungen suchen und sie in der Regierung antreiben. Ich will mir gar nicht vorstellen wie viel größer das Theater von Hubert Aiwanger wäre, wenn er in der Opposition sitzen würde.
Das ist aber kein verantwortungsvolles Handeln. Dieses Virus wartet nicht, bis wir in einstudierten Bahnen uns entschieden haben. Für die Bekämpfung müssen wir schneller sein. Und anders arbeiten.
Einstudierte Prozesse über Bord werfen
Wenn wir es nicht mal schaffen, im Parlament einstudierte Prozesse in einer globalen Krise über Bord zu werfen, wie soll es dann bei anderen Herausforderungen besser klappen?
Warum erzähle ich das alles? Weil ich davon überzeugt bin, dass es anders geht. Und anders gehen muss. Diese Pandemie ist ein große Krise, aber wir können an und mit ihr wachsen. Die Herausforderungen werden in den kommenden Jahrzehnten nicht weniger, sondern mehr.
Die Klimakrise, die fortschreitende Digitalisierung, die Veränderungen der internationalen Machtverhältnisse – um nur ein paar zu nennen.
Wenn wir da gut durchsteuern wollen, müssen wir die Weichen jetzt anders stellen: Liebgewonnene Verfahrensweisen updaten, mehr Mut und Kreativität zulassen, Raum für Experimente zulassen – kurz: pragmatisch die Welt retten. Wem das jetzt zu groß und anstrengend ist, der kann ja mal mit pragmatisch die Pandemie bekämpfen anfangen.
Viele Menschen verkörpern Aufbruch
Das Gute? Es gibt so viele Menschen in unserem Land, die den Aufbruch schon längst verkörpern und genau daran arbeiten. Tag für Tag. – Katharina Schulze
Das Personal im Gesundheitssystem, die seit einem Jahr alles geben, Unternehmer*innen, die in Eigenregie Luftfilteranlagen einbauen und ihre Mitarbeiterinnen ins Homeoffice schicken. Menschen vor Ort, die einfach anpacken, statt auf komplizierte Verfahren zu bestehen oder rumzujammern, Lehrerkräfte, Schüler*innen, Studierende, die das Beste aus der Situation machen. Bürger*innen, die seit einem Jahr die Maßnahmen mittragen, sich einschränken, leiden, aber trotzdem weiter machen.
Politik muss über sich hinauswachsen
Wenn die Gesellschaft über sich hinauswächst, muss auch die Politik über sich hinauswachsen. Und erst recht die Regierung, denn all die guten Ideen im Land und hier im Parlament bringen nichts, wenn die Regierung es nicht will oder hinkriegt.
Ich bin überzeugt: Wir können mehr. Und wir sollten mehr wollen. – Katharina Schulze
Unser Dringlichkeitsantrag „Kindern und Jugendlichen in der Pandemie jetzt Vorrang geben, Gesundheit und Wohlergehen sichern“ wurde von der CSU und Freie Wähler-Regierung abgelehnt.