Katharina Schulze

Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag

Grüne Sicherheitskonferenz

Sicherheit durch rechtstaatliche Verfahren gewährleisten

1. März 2017 in Im Parlament, Unterwegs |

Katharina Schulze MdL

In der aktuellen Situation können wir zwei Tendenzen feststellen: Teile unserer Bevölkerung vertrauen unserer Demokratie und unserem Staat nicht mehr. Gleichzeitig leben die Deutschen in einer der sichersten Gesellschaften, die es je gab. Wie bringt man Sicherheit und Freiheit zusammen? Mein Statement zur Grünen Sicherheitskonferenz in Frankfurt. 

Lügenpresse, Lügenpolizei, Lügenpolitik

Das Vertrauen von Teilen der Bevölkerung in die Demokratie, unseren Rechtsstaat und die Handlungsfähigkeit des Staates sinkt, populistische Kräfte haben Aufwind. Die neuen Rechten versuchen mit allen Mitteln, das Vertrauen, das die demokratischen Institutionen in der Bevölkerung genießen, zu untergraben. Das ist ein Problem. Die aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag des Magazins Stern hat gezeigt, dass die große Mehrheit der Deutschen die Demokratie zwar für die beste Staatsform hält – die Zustimmung nahm aber in den vergangen Jahren ab. Den Angaben zufolge stehen AfD-Anhänger der Demokratie skeptischer gegenüber als Anhänger anderer Parteien.

Sicherheit durch rechtstaatliche Verfahren

Gleichzeitig leben wir hier in einer der sichersten Gesellschaften, die es je gab – und die rechtsstaatlichen Verfahren, durch die diese Sicherheit hergestellt wird, sind an den menschenrechtlichen Verpflichtungen des Grundgesetzes orientiert. Deutschland zählt zu den sichersten Staaten der Welt: So sinkt beispielsweise die Zahl der Mordopfer kontinuierlich (in den Jahren 2005 bis 2015 von circa 500 auf 300), die der Gefängnisinsassen ebenso. Die richterliche Unabhängigkeit, die Wirksamkeit von Gesetzen und die Transparenz von Regierungspolitik sind ein Standortvorteil.

Prof. Dr. Anja Mihr moderierte die Diskussion zwischen Prof. Dr. Ralf Poscher, Katharina Schulze MdL, Stefan J. Kramer und Wolfgang Wieland auf der Frankfurter SiKo.

Und nun? Für Demokratie kämpfen!

Was folgt jetzt aus diesen zwei Feststellungen? Wir müssen zum einen gegen den Vertrauensverlust der Demokratie ankämpfen. Dazu gehört, dass man die Schönheit der Demokratie wieder begreifbarer macht und deutlich aufzeigt: wir haben die Demokratie von unseren Eltern nur geborgt. Daneben müssen wir die demokratischen Institutionen gestalten – dazu gehören ganz selbstverständlich neben Verbesserungsvorschlägen auch Kritik an den Sachen die noch nicht gut laufen und Kontrolle. Und natürlich von rechtstaatlichen Verfahren nicht nur reden, sondern sie auch einfordern.

Grüner Kompass ist klar

Ich möchte an unsere Gründungszeit erinnern: Wir sind BÜNDNIS 90/Die Grünen. Die Betonung liegt in diesem Fall auf „Bündnis 90“. In unserem Grundsatzprogramm finden sich so schöne und klare Sätze wie:

„Unser Staatsverständnis ist das einer demokratischen Republik, in der die Bürgerinnen und Bürger das Gemeinwesen gemeinsam gestalten. Um diese Gestaltungsaufgabe wahrnehmen zu können, ist der Staat fundamental auf intakte Institutionen der Gesetzgebung, der Verwaltung und des Rechts angewiesen. Als Institutionen der Bürgerinnen und Bürger müssen diese offen und transparent sein und die vorhandenen Informationen grundsätzlich offen legen. Sie dürfen sich nicht gegenüber denjenigen abschotten, von denen sie ihre Legitimation beziehen.“

Diese Werte und dieser klare Kompass müssen die Grünen immer wieder nach vorne stellen. Damit geben wir Orientierung. Im Gegensatz zu unseren politische Mitbewerbern, die sich im Moment in einer Vielzahl von ständig neuen Forderungspapieren, Gesetzesentwürfe und Initiativen ergießen, dabei aber nicht für faktisch mehr Sicherheit sorgen.

Sicherheitsdebatte in Bayern

Ich bin Landtagsabgeordnete in Bayern und unser Gegenspieler, die Regionalpartei CSU, tut sich bei diesem Thema ja besonders hervor. Fast jede Woche sind neue sicherheitspolitische Böllerschüsse zu hören, mit der die CSU sich zu Wort meldet.

Die CSU-Vorschläge enthalten oft altbekannte sicherheitspolitische Gassenhauer, wie die Ausweitung der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung über härtere Strafen bis hin zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Typische CSU-Forderungen, die in ihrer Wirkung sehr fraglich und im Hinblick auf unseren Rechtsstaat fragwürdig sind. Mit dem Terroranschlag von Anis Amri haben viele dieser Vorschläge nichts zu tun.

Das ist reine Symbolpolitik. Wobei Symbolpolitik, das klingt zu harmlos. Diese Form der Politik ist gefährlich. Denn sie bringt nicht mehr Sicherheit, sondern weniger Rechtsstaat.

Reform des Verfassungsschutzes: nichts gelernt

Ich möchte an einem konkreten Beispiel etwas genauer ausführen, wie der Rechtsstaat ausgehöhlt wird und wo wir genau hinschauen müssen:

Die CSU hat im Sommer 2016 im Landtag eine Neufassung des Verfassungsschutzgesetzes durchgedrückt. Spätestens nach der Selbstenttarnung des NSU war klar, dass sich der Verfassungsschutz umfassend reformieren muss. Anstatt Fehler zu beseitigen, werden aber mit dem neuen Verfassungsschutzgesetz in Bayern die Befugnisse des Verfassungsschutzes sogar noch ausgeweitet! Von einer „Reform“ kann nicht die Rede sein. Der Bayerische Datenschutzbeauftragte Dr. Petri hat auch erst vor wenigen Tagen gesagt, er befürchtet dramatische Auswirkungen für die Grundrechte.

Die Befugnisse zur Wohnraumüberwachung wurden erweitert. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz darf künftig auch als erster Landesverfassungsschutz überhaupt auf die Vorratsdaten zugreifen. Auch die Daten von Minderjährigen sind vor dem Verfassungsschutz nicht mehr so sicher, wie sie es vor der Reform waren: Der bisherige Werdegang eines Minderjährigen kann ab dem Zeitpunkt des vollendeten 14. Lebensjahres nachträglich erfasst werden. Insbesondere Minderjährigen steht ein Recht auf Resozialisierung zu – noch nach Jahren die „Jugendsünden“ angelastet zu bekommen lehnen wir ab. Und verdeckte Mitarbeiter sollen auch weiterhin Straftaten im Dienst begehen dürfen. Die CSU zieht die falschen Konsequenzen aus der Selbstenttarnung des NSU!

Aber nicht nur, dass der Verfassungsschutz in Bayern diese Befugnisse überhaupt bekommt, ist falsch. Das Gesetz ist streckenweise auch noch viel zu unbestimmt. Die Befugnisse werden nicht klar genug ausdefiniert. Die Auslegungsspielräume des Verfassungsschutzes sind viel zu groß. Zu „guter“ Letzt hat die CSU auch noch die Kontrolle des Verfassungsschutzes durch das Parlament eingeschränkt.

Wir Landtags-Grüne haben dieses Gesetz abgelehnt. Was wir brauchen, ist eine umfassende Reform des Verfassungsschutzes. Dieses Verfassungsschutzgesetz höhlt unsere Grundrechte, insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus. Deswegen werden wir gegen das Bayerische Verfassungsschutzgesetz klagen – und wir werden wohl erneut sehen, dass die Justiz die falschen Weichenstellung der CSU korrigieren muss. Denn für uns kann es Sicherheit nur mit rechtstaatlichen Verfahren geben.

Moderner Sicherheitsapparat ist möglich

Wir brauchen uns nicht wundern, dass aufgrund solchen Verschärfungen, wie auch die vielen historischen Erfahrungen (Stichwort NSU) viele Bürgerinnen und Bürger vermuten, dass die Gefahr für die Bürgerfreiheit auch vom Staat ausgeht. Ich möchte diese leider oft gerechtfertigte und teilweise ritualisierte Skepsis aufbrechen. So eine Frontstellung bringt uns im Diskurs nicht weiter. Wir müssen das kritische und menschenrechtlich orientierte Handlungspotential in den Sicherheitsapparaten stärken.

Modernisierungsdefizite müssen abgebaut, Diversity bei der Personalauswahl verstärkt und die Organisationskultur muss verändert werden. Dazu gehört auch der dringend notwendige Ausbau der demokratischen parlamentarischen Kontrolle von Geheimdiensten. Die Selbstverständlichkeit von Teilen des Verfassungsschutzes die sich als eine in sich geschlossenen Organisationen sehen, die selbst über die Regeln entscheiden möchte, nach denen sie handelt und demokratische Kontrolle oder eine debattierende Öffentlichkeit ungestraft als Hindernisse bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bezeichnet, lehnen wir ab und kritisieren wir. Das ist nicht rechtstaatlich und führt auch nicht zu mehr Sicherheit.

Mehr Sicherheit ohne Einschränkung der Freiheit?

Zu mehr Sicherheit führt, dass wir Grüne auch weiterhin über sinnvolle Möglichkeiten zum Schutz der Bevölkerung diskutieren. Und es ist sicher so, dass wir bei bestimmten Dingen nachjustieren müssen. Aber auch da gilt für uns immer der Grundsatz: Das muss alles rechtsstaatlich wasserfest sein. Durch eine zielgerichtete und effektive Gefahrenabwehr, die die rechtsstaatlichen Grundsätze einhält, kann Sicherheit gewährleistet werden.

Lasst uns weiterhin und vor allem lauter diese Bürgerrechtspartei sein, die sich für ein entschlossenes und besonnenes Handeln in der Sicherheitspolitik einsetzen. Eine Sicherheitspolitik, die auf rechtsstaatlichen Grundlagen operiert. Es ist ein gefährlicher Irrweg, als Reaktion auf Gefährdungen der inneren Sicherheit die Bürgerrechte immer weiter einzuschränken. Diese Gesetzverschärfungen im Hau-Ruck-Verfahren ohne seriöse Folgenabschätzung sind falsch. Die konzeptlose und anlasslose Massenüberwachung und die Anhäufung von gigantischen Datenbergen bedrohen unsere Freiheit und persönliche Sicherheit. Diese vermeintlich einfachen Antworten machen unser Land nicht sicherer, aber sie verunsichern die Bevölkerung.

Die Freiheit sicher machen

Wir Grüne wollen eine Politik der inneren Sicherheit, die Bürgerrechte schützt, Sicherheit gibt und die Freiheit bewahrt. Die rechtlich und technisch möglichen Instrumente sind zielgerichtet zur Gefahrenabwehr einzusetzen. Rechtstaatliche Prinzipien dürfen dabei nicht geopfert werden. Der Staat selbst, der ja auch als Vorbild agieren muss, muss sich an die Vorgaben der Verfassung halten. Placebo-Maßnahmen bringen nur eine scheinbare Sicherheit. Sie greifen aber massiv in die Grundrechte der Betroffenen ein.

Und vor allem braucht es uns Grüne, dass wir in der aufgeheizten Debatte die Stimme sind, die sich für den Rechtstaat, für die Demokratie, Freiheit und Sicherheit stark macht. Wir können den Gleichklang all dieser hohen Werte ausbalancieren. Wichtig ist, dass wir laut und deutlich unsere Forderungen in diesem Bereich nach vorne stellen und mit den Bürgerinnen und Bürgern die Debatte führen, wie wir die Demokratie gemeinsam weitergestalten können.

Hier die Frankfurter SiKo im Video