Politisch gegen Rassismus vorgehen
No justice, no peace
8 Minuten und 46 Sekunden – so lange drückte der Polizist sein Knie in den Nacken von George Flyod. Jetzt ist er tot. Genau so wie Breonna Taylor, Tony McDade, Ahmaud Arbery und viele andere, die durch Polizeigewalt in den USA getötet worden sind. Wahrscheinlich geht es Ihnen wie mir – die Bilder und Videos tun so unglaublich weh. Ich kann nur erahnen, wie es sich anfühlen muss, Opfer von rassistischer Diskriminierung und Gewalt zu sein, denn ich selbst bin nie Opfer von Rassismus geworden.
Aber ich bin Teil eines Systems aus strukturellem Rassismus, denn Rassismus ist kein US-amerikanisches Problem, auch hier in Deutschland gehört er für viele Menschen zum Alltag. Als weiße Frau bin ich mit einer Reihe von Privilegien aufgewachsen, die so selbstverständlich für mich waren, dass ich lange gar nicht reflektiert habe, dass ich sie habe. Ich werde beispielsweise nicht ständig gefragt, woher ich denn komme, ich wurde noch nie als Einzige in einem vollen Zug kontrolliert, ich sehe Menschen, die ähnlich wie ich aussehen, fast überall repräsentiert.
Als Frau muss ich mich regelmäßig mit Sexismus auseinandersetzen, aber rassistische Zuschreibungen aufgrund meiner Hautfarbe oder Ethnie habe ich noch nie erlebt. Das ist aber Alltag für sehr viele Menschen. Es gibt Alltagsrassismus und institutionellen Rassismus in Deutschland – im Bildungssystem, bei den Behörden, auf dem Arbeitsmarkt – um nur ein paar Bereiche zu nennen. Wir dürfen davor die Augen nicht verschließen, vielmehr müssen wir auf allen Ebenen dagegen vorgehen.
Was kann jede und jeder Einzelne tun?
Vielleicht fragen Sie sich, was jede und jeder einzelne tun kann? Viele kluge Stimmen haben sich in den letzten Tagen schon dazu schon geäußert. Ich möchte Ihnen die Informationen, die ich über die letzten Tage gelesen und gehört habe, gerne weitergeben:
Zuhören.
Es gibt so viele People of Color, die von ihren Rassismuserfahrungen berichten. Meine wunderbare Kollegin Aminata Touré hat es so passend zusammengefasst: “Es fehlt nicht an Schwarzen, die sprechen, sondern an Weißen, die zuhören”.
Lernen.
Es gibt viele tolle Bücher, Artikel und Filme, mit denen man sich beschäftigen sollte, um sich weiterzubilden und über die eigenen weißen Privilegien nachzudenken.
Weiße Privilegien anerkennen und reflektieren.
Nur den Blick auf die De-Privilegierung von Menschen mit Rassismuserfahrungen zu richten, reicht nicht, sondern wir müssen uns mit der Konstruktion weißer Identität und den damit einhergehenden Privilegien auseinandersetzen.
Zivilcourage zeigen.
Hinschauen, wenn andere wegschauen. Aufstehen, wenn andere Sitzenbleiben. Einstehen für die Demokratie und gegen Rassismus, Hass und Hetze. Daheim, in der Arbeit, in der Öffentlichkeit, im Netz.
Politische Handlungen müssen folgen
Unser Staat muss endlich besseren Schutz gewähren! Hier kann ich meinen Teil als Landtagsabgeordnete beitragen. Menschen, die von Diskriminierung oder rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt betroffen sind, fühlen sich oft im Stich von der Politik gelassen – und sie werden es auch oft. Es ist also endlich an der Zeit, dass der Freistaat Bayern mehr tut, um Menschen, die Diskriminierungen erfahren haben, zu unterstützen. Ich schlage einige konkrete Veränderungen vor, die es für Bayern dringend braucht und für die ich mich im Landtag einsetze:
Fangen wir doch mal mit einer weisungsunabhängigen Antidiskriminierungsstelle des Freistaats an. Sie unterstützt die von Diskriminierung Betroffenen bei der Durchsetzung ihrer Rechte und leistet Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit. Ebenso sollte der Freistaat die Strukturen kommunaler Antidiskriminierungsarbeit besser fördern, damit sie ihre wichtige Arbeit mit ausreichend Ressourcen machen können. Darüberhinaus braucht es ein Landesaktionsplan gegen Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.
Außerdem möchte ich, dass wir in Bayern analog zu Berlin ein Antidiskriminierungsgesetz bekommen. Ein solches Gesetz soll Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen Zuschreibung etc. in der öffentlichen Verwaltung und an allen öffentlichen Stellen verhindern.
Seit Jahren bin ich dran, dass wir endlich ein eigenständiges Landesprogramm zur Stärkung der Zivilgesellschaft bekommen. Damit können die vielfältigen Initativen, die sich für Vielfalt und Demokratie einsetzen in ihrer Präventions- und Bildungsmaßnahmen unterstützt werden. Es ist doch peinlich, dass es das in Bayern noch nicht gibt!
Und: Das Thema muss auch bei den Ministerien zentral priorisiert werden. Es braucht dafür eine Zentrale Koordinierungsstelle Demokratie in der Staatskanzlei. Eine solche Stelle koordiniert das Verwaltungshandeln für Demokratie und gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus sowie alle weiteren Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit über alle Ebenen und Ressortgrenzen hinweg, sensibilisiert alle Verwaltungsfelder und vernetzt die Verwaltung mit der Zivilgesellschaft. So kann der Kampf gegen Rassismus als Querschnittsaufgabe endlich auch angemessen institutionell verankert werden. Und natürlich muss sich die Vielfalt der Gesellschaft in den Behörden und der Verwaltung wiederspiegeln. Das kann z.B. durch eine Stelle für Interkulturelle Öffnung in den Behörden und mehr interkulturelle Trainings für die Mitarbeiter*innen geschehen. Der Staat muss hier Vorreiter sein.
Das gilt natürlich auch für die Bayerische Polizei. Auch in der Polizei müssen sich die Potenziale aller gesellschaftlichen Gruppen wiederfinden. Mehr Polizistinnen und mehr Polizeibedienstete mit Migrationshintergrund sollten eingestellt werden, dabei müssen die Kompetenzen, die Bewerber*innen mit Migrationshintergrund mitbringen, angemessen bewertet werden, wie z.B. die Mehrsprachigkeit. Ein interkulturelles Polizeiteam soll in meinen Augen so selbstverständlich sein wie im Fußball. Wir wollen bei der Aus- und Fortbildung der Polizei einen stärkeren Fokus auf interkulturelle Kompetenz legen. Im Polizeialltag muss dem Rassismus der Kampf angesagt werden. Es darf kein Racial Profiling bei der Polizei geben.
Als Grüne fordern wir schon lange einen unabhängigen Polizeibeauftragten in Bayern. Diese neu zu schaffende Stelle soll Menschen innerhalb und außerhalb der Polizei wie auch Bürger- und Menschenrechtsorganisationen als Ansprechperson zur Verfügung stehen. Damit können strukturelle Mängel und Missstände aufgedeckt und beseitigt werden.
Das Wort „Rasse“ gehört aus der Bayerischen Verfassung gestrichen. Das wäre ein starkes Zeichen. Es gibt keine “Rasse” (Art. 7, Abs. 1, Art. 119, Art. 183). Es gibt Menschen. Die Werte und Worte unserer Verfassung geben uns den Rahmen für unser Zusammenleben. Wir müssen deshalb unsere Verfassung dringend in diesem Punkt weiterentwickeln.
Was mir persönlich – gerade in Bayern – viel zu kurz kommt ist die Aufarbeitung und der Umgang mit der Kolonialzeit. Die Auseinandersetzung mit Kolonialismus im Bildungsbereich gehört verstärkt bzw. nach vorne gestellt. Dazu muss das Thema in die Aus- und Fortbildung der Lehrer*innen verankert und in den Lehrplänen gelebt werden.
Sie sehen, es gibt viel zu tun. Am schnellsten und umfangreichsten klappt die Veränderung, wenn wir alle mitmachen und denen entgegentreten, die keine Veränderung möchten. Denn: No justice, no peace.