Katharina Schulze

Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag

Plenum

Digitalisierung: for the many, not the few

6. Juli 2017 in Im Parlament |

Heute ging es im Plenum um Digitalisierung: Sie erleichtert unseren Alltag, Wissen ist nicht mehr exklusiv, die Lebensqualität vieler Menschen steigt. Mehr Beteiligung und Transparenz sind möglich. Aber sie verunsichert auch viele Menschen und es gibt auch Gefahren. Hier meine Rede zur Regierungserklärung von Herrn Seehofer zum Nachlesen und Nachschauen.

Meine Rede zur Digitalisierung: für alle, nicht für wenige

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Sie kennen dieses Kästchen. Egal, ob man es nutzt oder nicht – dieses Gerät hat unsere Gesellschaft grundlegend verändert. Es ist für viele Menschen ihr Tor zur Welt. Ich bekomme mit, was meine Freunde in den USA machen, die neuesten Nachrichten werden mir  aufs Handy geschickt und in der  Bahn kann ich meine Lieblingsserie weiterschauen. Gleichzeitig wird alles von mir getrackt – und manchmal weiß wahrscheinlich mein Smartphone genauer wo ich gerade bin als ich selbst. Alleine das Iphone hat 2016 123 Mrd. Euro umgesetzt. Das ist mehr als BMW und fast so viel wie Siemens und die Münchner Rück zusammen. Die wirtschaftlichen Machtverhältnisse werden auf den Kopf gestellt.

Das Smartphone ist im Moment das Sinnbild dafür, wie grundlegend die Digitalisierung unser Leben verändert. Was früher nicht in der Zeitung stand oder nicht im Fernsehen oder Radio kam, fand für die breite Öffentlichkeit nicht statt. Wissen wurde über die Lehrerin vermittelt oder den Meister im Betrieb. Wer diese Autoritäten hinterfragen wollte, musste einen großen Aufwand betreiben. Diese Nadelöhre des Wissens und der Information sind weg. Die Informationen der Welt sind jetzt nur ein paar Mausklicks entfernt – und die Kunst ist die Qualität aus der Quantität zu filtern.

Die Digitalisierung verändert unsere Welt so grundlegend wie die industrielle Revolution vor 150 Jahren.

Angesichts dieser Umwälzungen ist ihre Vision eines digitalen Bayern merkwürdig oberflächlich und kleinkariert. Programme mit mehr oder weniger schicken Namen, Kompetenzzentren, Cluster – eben was sie halt immer anbieten, wenn sie Tatkraft beweisen wollen. Sie machen sich viele Gedanken, wie man die Unternehmen in Bayern für die Digitalisierung ertüchtigen kann – und dann ist ihr Förderprogramm Digitalbonus jetzt schon aufgebraucht! Aber das wirtschaftliche ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen.

Um die kulturellen Veränderungen machen sie einen großen Bogen. Was macht das mit unserer Gesellschaft, wenn wir in automatisierten Drohnentaxis von A nach B unterwegs sind, im Alter von Pflegerobotern umsorgt werden, mit einem Chip unter der Haut bezahlen? Diese kulturellen Fragen sind höchst relevant. Da höre ich von ihnen nichts.

Vielleicht glauben Sie, zu viel Veränderung überfordert die Menschen. Vielleicht sind sie selbst überfordert. Vielleicht haben Sie ja selbst Angst vor dem Wegfall von Autoritäten und Hierarchien, vor der neuen Offenheit und Transparenz einer digitalen Gesellschaft. Das weiß ich nicht genau, das kann ich nur vermuten.

Aber eines weiß ich: Lassen sie mich ein Bild aus der Botanik verwenden. Wir Grüne verstehen nämlich sowohl von natürlichen als auch digitalen Lebensräumen etwas. Sie und ihre CSU-Regierung sind digitale Flachwurzler. Sie bleiben an der Oberfläche und dort kann man die Digitalisierung nicht politisch gestalten. Es reicht nicht, Hammer, Zange und Schraubenzieher gegen Platinen auszutauschen und dann sich als Digitalisierungsversteher zu feiern. Die Digitalisierung, die künstliche Intelligenz, das Roboterzeitalter – um damit als Gesellschaft klug und verantwortungsvoll umzugehen braucht man starke Wurzeln. Man muss in die Tiefe gehen! Ich möchte, dass Bayern das digitalste Bundesland wird, in dem Menschen die  Chancen der Digitalisierung sicher nutzen können.

Denn die Digitalisierung erleichtert unseren Alltag, Wissen ist nicht mehr exklusiv, die Lebensqualität vieler Menschen steigt, mehr Beteiligung und Transparenz sind möglich. Aber sie verunsichert auch viele Menschen und es gibt auch Gefahren.

Die Möglichkeiten nutzen, die Menschen mitnehmen und sie vor Gefahren schützen, das ist unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker. Dafür müssen wir die Menschen in den Mittelpunkt stellen – wenn wir über Digitalisierung reden. Dafür müssen wir die ganze Geschichte erzählen und nicht die wichtigsten und die weniger schönen Kapitel weglassen. Wir brauchen ein Digitalministerium, das genau all diese Punkte bündelt und strategisch vorantreibt – und nicht weiterhin dieses Kompetenzwirrwar in der CSU-Staatsregierung!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

fangen wir bei den Schulen an.

Vor mancher  Schule in Bayern sollte man Tafeln aufstellen mit dem Hinweis: „Achtung, sie verlassen die digitale Welt.“ Kaum eine bayerische Schule hat einen leistungsfähigen Internetanschluss. Von zeitgemäßen Geräten ganz zu schweigen. Das Wissen wird von einer Lehrkraft vermittelt, die vor der Klasse steht. Handys sind verboten. Den Zugang zur digitalen Welt finden die Schülerinnen und Schüler selbst über Whatsapp, Instagram und Youtube. Nicht über die Schule. Wie sollen denn die Kinder einen souveränen und kritischen Umgang mit der digitalen Welt lernen, wenn das in den Lehrplänen des Kultusministeriums kaum eine Rolle spielt? Ich möchte nicht, dass Mark Zuckerberg oder Google darüber bestimmen, was unsere Kinder über die Digitalisierung lernen. Aber genau das ist doch heute zu oft der Fall.

Für die digitale Welt brauchen wir Kreativität, starke Persönlichkeiten, die gelernt haben kritisch zu denken und die auch außerhalb der eingefahrenen Wege denken und handeln. Menschen, die im Team arbeiten können. Für die kulturelle Grenzen keine unüberwindlichen Schranken sind. Die Unsicherheiten aushalten können. Und die keine Angst davor haben  auch mal zu scheitern. Da tun wir viel zu wenig.

Warum sind viele erfolgreiche IT-Gründer Montessori-Schüler? Larry Page und Sergej Brin, die beiden Google-Gründer, Jeff Bezos, den Chef von Amazon oder Jimmy Wales, der Wikipedia ins Leben gerufen hat. (Und ja, ich bin fest davon überzeugt, dass die nächste erfolgreiche IT-Gründung von einer Frau gemacht wird!) Was sie dort gelernt haben: Sie werden als eigenständige Personen mit ihren eigenen Fähigkeiten ernst genommen. Und nicht nur als einer unter vielen, die in ein Notenraster gepresst werden und wenn sie Pech haben, nach der vierten Klasse nicht auf das Gymnasium dürfen. Wir müssen mehr darauf schauen, was die Kinder können! Mehr Kreativität, mehr Vertrauen, weniger Pflichterfüllung und Kontrolle – das ist der Schlüssel zu guter Bildung in der digitalen Welt.

Ohne gute Bildung für alle gibt es keine Chancengerechtigkeit. Diese Erkenntnis ist weder neu noch originell – aber ich muss sie in diesem Haus immer wieder sagen, damit es dann auch die CSU irgendwann anerkennt und begreift. Gute Bildung ist in der analogen Welt wichtig und in der digitalen erst recht.

Wenn wir verhindern wollen, dass die soziale Spaltung an unseren Schulen durch die digitale Spaltung noch vertieft wird, müssen wir jetzt etwas tun. Endlich wird Informatik zum Pflichtfach, eine alte Forderung von uns! Was aber noch fehlt: Wir müssen dringend die Medienkompetenz stärken, digitales Wissen vermitteln, die Schulen und Lehrkräfte besser ausstatten, ausbilden und ertüchtigen. Und zwar im großen Stil, nicht nur mit etwas Kosmetik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

schauen wir auf den Arbeitsmarkt. Standardisierte Arbeit wird durch Algorithmen, Automatisierung und Robotik ersetzt. Es sind keineswegs nur die „blue collar“-Jobs, die auf dem Spiel stehen, sondern auch Berufe bei den Banken, bei den Versicherungen, in der Industrie. Niemand weiß heute, ob uns die Digitalisierung unter dem Strich Arbeitsplätze bringt oder kostet. Auf jeden Fall wird die Arbeit anders sein. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen abhängiger und selbständiger Tätigkeit sowie zwischen Selbstbestimmung und Selbstausbeutung können noch weiter verschwimmen.

Es ist jetzt allerhöchste Zeit, sich Gedanken über die Folgen zu machen. Verteilen wir die Arbeit auf mehr Schultern? Wie schaffen wir gut bezahlte Jobs? Wie unterstützen wir die Unternehmen? Wie entwickeln wir geltende Sozial- und Arbeitsstandards weiter? Wie schützen wir die Rechte der Beschäftigten? Wie machen wir sie fit für die Digitalisierung? Ein erster Schritt wäre übrigens, dass sie sich nicht länger gegen ein Weiterbildungsgesetz sperren. Müssen wir die soziale Sicherung auf neue Füße stellen? Die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein hat vereinbart, das bedingungslose Grundeinkommen zu testen. Ich finde das mutig und bin auf die Ergebnisse gespannt. Mehr Offenheit für Neues wünsche ich mir auch von der CSU-Regierung. Lassen Sie einfach mal jedes zweite Selbstlob weg und probieren sie stattdessen was Neues aus. Das wäre ein Win-Win für alle Seiten.

A propos Selbstlob. Die Menschen im ländlichen Raum wären froh, wenn sie schnelles Internet nicht nur aus der Zeitung kennen würden. Dort inszeniert Markus Söder einen Förderbescheid nach dem anderen. Dumm nur, dass in der Wirklichkeit davon kaum etwas ankommt. Schnelles Internet ist Daseinsvorsorge, aber Deutschland liegt im hinteren Mittelfeld beim Ausbau. Bayern liegt im hinteren Mittelfeld im Vergleich der Bundesländer. Markus Söder ist diesbezüglich ein Fakeaccount. Sie rufen das Gigabit-Land aus, die Wirklichkeit liegt bei ein paar Megabit. Vielleicht liegt das auch daran, dass sie derzeit alleine für Staatsstraßen 134 Mio € mehr ausgeben als für die Förderung von Breitband.

Und ich frage sie: Wie lange wollen sie eigentlich noch zuschauen, wie die Telekom ihr uraltes Kupfernetz mit Steuermitteln vergoldet anstatt endlich in ein modernes und zukunftsfähiges Glasfasernetz zu investieren? Mein Kollege Markus Ganserer hat mal gesagt, sie betreiben den „schnellen Ausbau des langsamen Internets“ und damit hat er recht!

Der Mobilfunk fällt als Alternative aus. Denn wir haben in Deutschland im weltweiten Vergleich eine miserable Netzabdeckung. In weniger als 60 Prozent des Landes ist LTE verfügbar. In Peru, Kambodscha oder Panama ist das Netz besser. Dafür ist es bei uns besonders teuer, online zu surfen. Schlechte Leistung für teures Geld: Dazu würde ich gerne mal was von Ihnen hören, Herr Seehofer. Aber da herrscht leider Funkstille in der Staatskanzlei.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir schaffen es, Busse autonom fahren zu lassen. Aber an einem einheitlichen elektronischen Ticket für Bus und Bahn scheitern wir. Eine klare und übersichtliche Auskunft, mit welchem Mix ich mein Ziel am schnellsten und am klimafreundlichsten erreichen kann? Fehlanzeige! Dabei sind alle Informationen längst vorhanden. Die Digitalisierung gibt uns die Möglichkeit, Mobilität endlich von den Wünschen der Kundinnen und Kunden her zu denken. Kommen Sie hier endlich in die Gänge!

Die neue Technologie kann uns auch bei der Energiewende helfen, indem wir Erzeugung und Verbrauch von Strom besser zusammenbringen. Flexible Verbraucher arbeiten dann, wenn es Strom im Überfluss gibt. Und sie halten sich zurück, wenn er knapp ist. Das geht mit der Waschmaschine im Privathaushalt ebenso wie mit dem großen Kühlhaus oder dem Zementwerk. Gesteuert wird über den Preis. Technisch wäre das dank der Digitalisierung kein Problem. Und das Klima würde auch noch profitieren. Was fehlt, ist der politische Wille, die Chancen der digitalen Gesellschaft für einen besseren Umweltschutz endlich zu nutzen. Warum tun sie hier nicht mehr?

Ich gebe Ihnen noch einen Tipp mit auf den Weg: Sie könnten auch bei dem Thema E-Government endlich mehr machen. Vor kurzem waren wir Grüne in Estland – und da wird die Digitalisierung im Verwaltungshandeln gelebt, da staunt man nur. Bis auf heiraten, sich scheiden lassen und ein Haus kaufen kann man alle anderen Verwaltungsvorgänge online mit seiner Verwaltung tätigen. Wir Grüne werden auch weiterhin immer wieder unser Transparenzgesetz in den Landtag einbringen, bis wir endlich Informationsfreiheit in Bayern haben!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Digitalisierung eröffnet uns mehr Möglichkeiten. Leider auch für Leute, die mit Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nichts am Hut haben. Nicht nur Erpressung, Phishing oder Industrie-Spionage sind ein Problem. Da braucht es endlich eine einheitliche Strategie zum Thema IT-Sicherheit hier in Bayern. Die mutmaßlich aus Russland organisierten Cyber-Angriffe auf die demokratische Partei in den USA zeigen, dass man damit Wahlen manipulieren kann. Die Angriffe auf den Bundestag und das Bundeskanzleramt haben offen gelegt, wie verwundbar unsere Systeme sind. Was passiert, wenn kurz vor der Bundestagswahl vermeintlich belastendes Material veröffentlicht wird? Vielleicht gegen eine Partei, die beispielsweise Wladimir Putin nicht so gerne an der Regierung sehen würde? Ich hoffe, wir reagieren dann alle so besonnen, wie es die französische Öffentlichkeit kürzlich getan hat.

Leider gibt es auch bei uns genügend Stellen, die am liebsten alles über jeden wissen wollen. Der großen Koalition aus CDU, CSU und SPD sind die Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs gegen die Vorratsdatenspeicherung anscheinend egal. Mit dem Bundestrojaner will die Bundesregierung die Messenger-Dienste ausspionieren. Ihre Datensammelwut kennt kein Maß und kein Ziel. Sie zerstören die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger anstatt sie zu schützen. Und nebenbei auch das Vertrauen der Menschen in die Vorteile der Digitalisierung. Wir Grüne verteidigen das Recht auf digitale Selbstbestimmung!

Und für die digitale Selbstbestimmung braucht es Regeln und Leitplanken. Wer will, dass die Digitalisierung eine Erfolgsgeschichte wird, muss diese Regeln akzeptieren und dafür sorgen, dass sie eingehalten werden. Ich will das. Wollen sie das auch?

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir können mit entscheiden, welche Spielregeln für die digitale Gesellschaft gelten. Den Willen, aktiv zu gestalten, Debatten anzustoßen, groß zu denken vermisse ich bei der CSU-Regierung. Disruptive Technologien können morgen erscheinen, von denen wir heute noch gar nichts ahnen. Es ist unsere Aufgabe, die Gesellschaft darauf vorzubereiten, Leitplanken zu setzen und die Digitalisierung zum Nutzen aller voran zu treiben. Offene Systeme wie Linux gelten in der Informatik als robuster und weniger störanfällig. Eben gerade, weil sie ihren Quellcode offen legen und alle sich an seiner Weiterentwicklung beteiligen können. Begreifen wir die Politik doch mal als offenes System. Als System, das besser wird, weil sich mehr Menschen beteiligen können. Holen wir die Digitalisierung heraus aus Expertenzirkeln, Exzellenz-Clustern, Master-Plänen und anderen Nischen der bürokratisch-ökonomischen Selbstbeschäftigung. Machen wir sie zu einem wahrhaft politischen Thema, lernen wir voneinander, reden wir offen darüber, erzählen wir die ganze Geschichte. Nur dann haben wir die Chance auf ein Happy End.