Katharina Schulze

Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag

Corona-Krise

Politische Arbeit in Zeiten von Corona

23. März 2020 in Im Parlament |

Wie geht es Euch in dieser Krise? Wie lebt Ihr mit den Einschränkungen, den Sorgen um die Zukunft, den Ängsten um Eure Gesundheit und Eurer Lieben? Könnt Ihr nachts noch ruhig schlafen oder schreckt Ihr auch aus dem Halbschlaf hoch, halb zweifelnd, halb wissend, dass wir tatsächlich mitten einer fast surreal anmutenden, so nur schwer vorstellbaren Krise stecken?

Wie fühlt man sich in der Corona-Krise? 

Ich fühle mich so, wie wahrscheinlich die allermeisten Menschen: Ich wache morgens auf und denke im Halbschlaf, vielleicht ist es ja nicht Realität, um mich dann doch den ganzen Tag mit dem immer schneller ausbreitenden Virus auseinander zu setzen. Eine Eil-Meldung jagt die nächste, die Berichte aus Italien schnüren mein Herz zu und ich bin unruhig. Natürlich mache ich mir Sorgen, um meine Eltern, meine Freund*innen, um all die Menschen, die jetzt schon infiziert sind oder zu einer Risikogruppe gehören.

Es ist schade und ungewohnt, Menschen nicht mehr direkt zu sehen, den Geburtstag meiner Mutter konnten wir zum Beispiel nur übers Telefon feiern. Wenn ich arbeite, vergesse ich das alles eher. Und abends schaue ich eine Netflixserie, um mich abzulenken. Zum Lesen oder zur Entspannung bin ich noch nicht so sehr gekommen, das steht aber auf meiner to do liste für die nächsten Tage. 

Wie arbeitet man jetzt? 

Mein Arbeitsalltag hat sich  stark verändert: Die Arbeit von uns Politiker*innen dreht sich ja vor allem um das Treffen mit Menschen. Wir treffen Bürger*innen, Verbände, Vereine, machen Ortsbesichtigungen, besuchen Unternehmen und haben eine Sitzung nach der anderen. Jetzt hänge ich in einer Telefonkonferenz nach der nächsten, bin in Videokonferenzen, wühle mich durch meine E-Mail-Berge, führe Telefonate mit Journalist*innen oder beantworte in Online-Townhalls Fragen der Bürger*innen – es läuft ja gerade noch die Stichwahl zur Kommunalwahl in Bayern. Außerdem informiere ich regelmäßig über meinen Instagram-Kanal via InstaLive und tausche mich mit meinen  Follower*innen aus. 

Als Grüne Landtagsfraktion sind wir jetzt seit zwei Wochen im Homeoffice. Unsere Arbeitskreissitzungen, Fraktionssitzungen, Vorstandssitzungen und Co. finden alle telefonisch oder per Videokonferenz statt.  Ich freue mich, wie schnell und gut wir als Team in den neuen Rhythmus gekommen sind. Natürlich würde ich die Kolleg*innen lieber persönlich  sehen, aber wir sind technisch super aufgestellt, um trotzdem unsere Arbeit fortführen zu können. Denn der Abstimmungsbedarf wird auch in meinem Job durch Corona nicht kleiner, er findet eben jetzt nur auf anderen Kanälen statt.    

Mir ist klar, dass ich mich in einer privilegierten Situation befinde. Meinen Beruf und die politische Arbeit der Grünen im Landtag kann man vorübergehend auch gut aus dem Home Office ausführen. Ganz viele andere Berufsgruppen können das nicht: Pfleger*innen, Ärzt*innen, Busfahrer*innen, Supermarkt- und Apothekenmitarbeiter*innen, Mitarbeiter*innen der Müllabfuhr und Elektrizitätsversorgung und viele mehr. 

Tausend Dank an dieser Stelle, dass Sie für uns das öffentliche Leben am Laufen halten. Wir können Sie am Besten unterstützen, wenn wir räumlichen Abstand halten und so mithelfen die Ausbreitungskurve zu verlangsamen.  

Was jetzt politisch zu tun ist 

Ich habe in meiner Rede im Plenum des Bayerischen Landtags letzten Donnerstag deutlich gemacht, auf was es uns als Oppositionsfraktion jetzt ankommt: Für uns steht der Schutz der Bevölkerung an oberster Stelle. Noch gibt es keine Impfung und kein Gegenmittel gegen das Corona-Virus. Wir müssen also alle gemeinsam auf anderen Wegen daran arbeiten, die Ausbreitungskurve zu verlangsamen – und das ist der räumliche Abstand! Damit retten wir buchstäblich Leben. Nur so kann unser Gesundheitssystem intakt bleiben und alle Menschen mit schweren Krankheitssymptomen ausreichend versorgt werden.

Außerdem müssen wir die negativen Auswirkungen von Corona auf unsere Gesellschaft und Wirtschaft möglichst gut abfedern. Wir speisen also als Grüne ständig konstruktive Verbesserungsvorschläge in die Krisenstäbe und die Ministerien ein. Denn uns ereilen viele Mails, Anrufe und Nachrichten, was alles noch nicht optimal läuft – wir geben das dann weiter und kümmern uns. 

Ein Beispiel, wo es in meinen Augen noch sehr hakt: Wir müssen die Testkapazitäten unbedingt hochfahren. Unsere sung ist nämlich „Am Besten testen“, so wie in Südkorea: Infektionen können so möglichst früh erkannt und isoliert, Betroffene schnell behandelt und weitere Gefahren ausgeschlossen werden. Auch klappt so eine systematische Rückverfolgung der Infektionsketten leichter. Uns ist bewusst, dass das Personal auf den Gesundheitsämtern, in den Arztpraxen, die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, die Labore am Limit sind, jede und jeder gibt da alles. Vielen Dank dafür! Dennoch warten Menschen 5-7 Tage bis Ergebnisse vorliegen. Daher muss ernsthaft geprüft werden, wie wir die Test-Kapazitäten schnell und unbürokratisch erhöhen können. Denn das könnte ja auch der Exit-Plan für uns als Gesellschaft sein, wenn wir die Ausgangsbeschränkungen wieder lockern wollen und gleichzeitig Infektionsherde eindämmen können. Wir müssen Ansteckungen auch dort verhindern, wo immer noch viele Menschen aufeinandertreffen. Das sind große Firmen, Krankenhäuser, Pflegeheime und Co. Mehr Tests und ausreichend Schutzmaterial (Masken, Desinfektionsmittel) gibt den Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen Sicherheit.

Am Umgang mit den Schwächsten zeigt sich das Gesicht unserer Gesellschaft – auch und gerade in Krisenzeiten. 

Mir ist auch sehr wichtig, dass wir in dieser Ausnahmesituation die Schwächsten der Gesellschaft im Blick haben, denn die Corona-Krise verschärft soziale Ungleichheit. In Flüchtlingsunterkünften fehlen Möglichkeiten der Quarantäne. Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen geht davon aus, dass häusliche Gewalt zu nehmen wird, deswegen muss der Gewaltschutz auch während Corona funktionieren. Frauenhäuser müssen aufbleiben und die Kapazitäten gehören massiv aufgestockt (nicht nur wegen Corona, sondern weil wir insgesamt viel zu wenig Plätze haben!). Auch muss der Arbeitsschutz für die Mitarbeiter*innen bereitgestellt werden. Ebenso müssen ungewollt Schwangere weiterhin Beratungsmöglichkeiten erhalten. Für psychische Kranke muss es weiterhin die Möglichkeit einer Telefonberatung gegeben sein, Onlineangebote müssen ausgebaut werden. Und ja, es gibt auch viele Kinder, die ohne Drucker oder Endgerät daheim sind. Damit die soziale Schere nicht weiter auseinandergeht muss dafür gesorgt werden, dass alle Kinder und Jugendlichen am Unterreicht daheim teilnehmen können. 

Der Ausnahmezustand wird noch eine Weile unser Leben begleiten. Ich bin dankbar, dass die Stimmen der Virolog*innen, Epidemiolog*innen und Ökonom*innen gehört werden. Jedoch wäre es mir wichtig, dass auch immer mehr die Expertise von anderen Fachleuten mit in die Debatten aufgenommen wird, also die der Soziolog*innen, Psycholog*innen, Pfleger*innen etc. Denn so eine Situation hat unsere Gesellschaft noch nie erlebt. Das macht etwas mit uns. Es gilt sich also auch jetzt um mögliche Exit-Strategien zu unterhalten und darüber zu diskutieren. 

Wir prüfen die Vorstöße und Maßnahmen der Regierung in Bayern und im Bund intensiv und tragen die sinnvollen Maßnahmen selbstverständlich mit. So haben wir zum Beispiel das 10 Milliarden Euro Sofortprogramm letzten Donnerstag im Plenum unterstützt und dafür gestimmt. Damit helfen wir bayerischen Unternehmen und Freiberufler*innen. Es gibt z.B. Sofortzahlungen an Unternehmen und Kulturschaffende und ein Schutzschirm für kommunale Krankenhäuser wurde aufgespannt. 

Kontrolle der Regierung

Anders sind wir Grüne als Oppositionsführer*innen mit dem Bayerische Infektionsschutzgesetz umgegangen: Die Staatsregierung hat uns das am 17.03.20202  vorgelegt und meinte, wir sollen es doch zwei Tage später im Plenum in der ersten und zweiten Lesung gleich beschließen. Der Gesetzentwurf hat weitreichende Eingriffe und war handwerklich nicht gut gestrickt. So sollte in der ersten Fassung der Ministerpräsident alleine den Gesundheitsnotstand ausrufen können, der Landtag als Kontrollorgan der Regierung kam gar nicht vor und außerdem es war auch nicht klar definiert, welche Menschen zur Hilfe beim Gesundheitsnotstand herangezogen werden könnenDas geht so nicht.  

Wir haben also das Eil-Eil-Verfahren der Regierung gestoppt und uns mit den anderen Fraktionen auf ein Verfahren verständigt, so dass der Gesetzentwurf vorher noch in den Ausschüssen diskutiert werden und dann am kommenden Mittwoch im Plenum beschlossen werden kann. So können signifikante Verbesserungen noch einfließen. Zum Beispiel haben wir u.a. durchgesetzt, dass nicht der Ministerpräsident, sondern das Kabinett den Gesundheitsnotstand ausrufen, der Landtag ihn beenden kann und dass dieses Gesetz Ende des Jahres endet.  

Trotz Corona-Krise ist es weiterhin unser Job die Regierung zu kontrollieren. Als leidenschaftliche Innenpolitikerin ist mir klar, dass alle einschränkenden Maßnahmen auch wieder zurückgenommen werden müssen. Darauf werden wir achten. Denn wir sind überzeugt, dass nur unsere liberale Demokratie am Ende die bessere Antwort auf die Herausforderung ist, als ein autoritäres System. Autoritäres Denken hat diese Katastrophe erst in die Welt gebracht, weil verantwortungsvolle Ärzt*innen, die frühzeitig auf das Virus hingewiesen haben, mundtot gemacht wurden.  

Natürlich werden wir nach gemeinsamer Bewältigung der Krise auch darüber sprechen und aufklären, ob zu spät, zu zaghaft reagiert wurde, was gut lief und was nicht.

Auch wenn man das Gefühl hat, im Moment gibt es nur ein Thema, arbeiten wir weiter parallel an den anderen Herausforderungen unserer Zeit. Denn die überfüllten Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln sind ja nicht einfach weg, der rechte Terror ebenfalls nicht und die Klimakrise muss weiter bekämpft werden. 

Was mich gefreut hat 

Und weil in diesen Zeiten vieles düster erscheint, möchte ich zum Abschluss noch ein paar Dinge aufführen, die Mut machen. Ich bin davon überzeugt, dass wir als Gesellschaft gestärkt aus der Krise herauskommen können, wenn wir zusammenhalten und Solidarität zeigen.   

  • Menschen organisieren überall im Land Nachbarschaftshilfe für ältere Menschen und Risikogruppen.  
  • Baden-Württemberg nimmt Corona-Patient*innen aus Frankreich auf – so geht europäische Solidarität!   
  • Online sieht man immer mehr Menschen, die sich gemeinsam zum Ratschen treffen, Ideen austauschen und sich gegenseitig Mut zu sprechen. 
  • In vielen Ländern verabreden sich Menschen abends an ihrem Fenster, um gemeinsam zu musizieren und den Menschen, die unser System am Laufen halten zu danken. 
  • In der aktuellen Zeit wird auch deutlich, wo und wie groß die Defizite bei der Digitalisierung im bayerischen Schulsystem sind. Gleichzeitig sehen wir, wie viel Potenzial in digitalem Unterricht steckt und mit wie viel Eigenengagement die Lehrkräfte unterwegs sind, um gerade jetzt die Schüler*innen nicht im Stich zu lassen. Da muss der Staat mit voller Kraft unterstützen!
  • Die Digitalisierung der Arbeitswelt und flexible Arbeitsmodelle erhalten einen neuen Schub, das wird unsere Art zu Arbeiten nachhaltig verändern.   
  • Und: Ich wünsche mir von ganzen Herzen, dass endlich, endlich einen Richtungswechsel in der Gesundheits- und Pflegepolitik, damit die medizinische und pflegerische Versorgung immer und überall sichergestellt werden kann. Dafür muss es eine finanzielle und personelle Aufstockung geben. Und dass alle Care-Berufe, Care-Tätigkeiten und systemrelevante Berufe nicht nur beklatscht werden, sondern die Rahmenbedingungen sich dafür massiv verbessern. Daran werden wir auch weiter arbeiten!

Halten wir also zusammen, indem wir räumlichen Abstand halten. Gemeinsam gewinnen wir!