Katharina Schulze

Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag

Über den Umgang mit Corona-Leugnern

Schluss mit naiver Toleranz!

14. Januar 2022 in Anträge und Anfragen, Im Parlament |

Den militanten Coronaleugnern geht es nicht um Masken oder Impfungen, sondern um die Zerstörung der liberalen Demokratie. Deshalb sind Toleranz und Beschwichtigung der falsche Weg. Ich habe hier aufgeschrieben, was im Umgang mit den Corona-Leugnern jetzt dringend zu tun ist und was unter dem Freiheitsbegriff in einem liberalen und demokratischen Rechtsstaat zu verstehen ist.

Wir sehen in den letzten Monaten verstörende Bilder von militanten Impfgegnern und Coronaleugnern, die Polizei und Presse angreifen, mit Fackeln vor den Häusern von Politiker*innen aufmarschieren und bewusst das Versammlungsrecht unterlaufen.

Narrativ von „Spaltung der Gesellschaft“ ist irreführend

Von einer “Spaltung” der Gesellschaft ist jetzt vielerorts die Rede. Der Begriff führt in die Irre. Denn er unterstellt, dass ein Graben mitten durch die Gesellschaft führt – mit zwei gleich großen Teilen. Das ist nicht der Fall.

Eine sehr große Mehrheit steht hinter den Maßnahmen zur Überwindung der Pandemie. – Katharina Schulze

Und hält sich – selten aus Begeisterung, aber überzeugt von der Notwendigkeit – an die Regeln und beherzigt Ratschläge aus der Wissenschaft.

Eine Minderheit verweigert dies und leugnet wissenschaftliche Erkenntnisse. Diese Minderheit ist sehr klein, sie ist sehr laut und mit dem Verweis auf eine angebliche Spaltung der Gesellschaft erhebt sie einen Anspruch auf Einfluss, der ihr der Größe nach nicht zusteht, wie es der Verfassungsrechtler Christoph Möllers treffend analysiert hat.

Staat braucht gute Gründe, um Freiheit zu reglementieren

Soll man also die kleine Minderheit weiterhin krakeelen lassen?

Nein, denn der Umgang mit dieser Minderheit stellt existenzielle Fragen, die unser Selbstverständnis als Gesellschaft betreffen, aber auch Fragen an den liberalen Rechtsstaat, ins Rampenlicht.

In einer aufgeklärten Demokratie entstehen Regeln als Ergebnis von Auseinandersetzung um den richtigen Weg. Und zwar von freien und gleichen Bürgerinnen und Bürgern. Der Staat muss dafür sorgen, dass Freiheit und gleiche Rechte der Bürgerinnen und Bürger erhalten bleiben.

Der Staat darf das Leben der Menschen nicht einfach nur deshalb reglementieren, weil er es kann. Es braucht gute Gründe, um in das Selbstbestimmungsrecht der Menschen einzugreifen. – Katharina Schulze

Das Leben und die Gesundheit von vielen Menschen in einer Pandemie zu schützen, gehört definitiv dazu.

Freiheit ist an Vernunft und Verantwortung gebunden

Freiheit in einem demokratischen und liberalen Staat meint dabei nicht Willkürfreiheit; sondern eine Idee von Freiheit, die an Vernunft und Verantwortung gebunden ist.

Natürlich kann jede und jeder in seinem privaten Bereich tun, wonach ihm oder ihr ist – solange das nicht zu Lasten von anderen geht. Aber eine politisch tragfähige Idee von Freiheit geht weit darüber hinaus.

Die aktuellen Proteste um die Corona-Maßnahmen gehen nur vordergründig um das Tragen von Masken, die Impfung oder Kontaktbeschränkungen. Tatsächlich geht es um verschiedene Vorstellungen von Freiheit.

Konfliktlinie zwischen Egoismus und Gemeinwohl

Die Konfliktlinie läuft zwischen aggressivem Egoismus und Orientierung am Gemeinwohl.

Zwischen kurzfristigen Freiheitsgewinnen für wenige gegenüber langfristiger Sicherung der Freiheit für alle. Zwischen einer Weltsicht, die auf Verschwörungsmythen, Halbwahrheiten, Gefühlen und Glauben beruht und einer Weltsicht, die auf der Anerkennung von Fakten, der Relevanz wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Kraft von Argumenten aufbaut.

Es geht also in dieser Auseinandersetzung um den Wesenskern der modernen, liberalen Demokratie. – Katharina Schulze

Und diese Auseinandersetzung müssen wir mit aller Entschlossenheit führen.

Rechtsstaat darf niemals naiv sein

Gesetze und Regeln werden in unserem Land auf Basis demokratischer Legitimation erlassen. Sie gelten für alle. Wer sie ändern will, kann das mit den entsprechenden Mehrheiten tun.

Um für Alternativen zu werben, gibt es genug friedliche Möglichkeiten, die allen freistehen.

Proteste gehören zu einer Demokratie. Aber ebenso gehört es dazu, sich an Regeln zu halten und friedlich zu agieren. – Katharina Schulze

Eine Demokratie muss ihren eigenen Wesenskern verteidigen. Demokratisch legitimierte Regeln und Gesetze müssen auch durchgesetzt werden.

Deshalb ist es fatal, wenn staatliche Institutionen sich auf der Nase herumtanzen lassen, wenn in Kundgebungen gegen Auflagen wie das Abstandsgebot oder die Maskenpflicht absichtlich verstoßen wird.

Oder der Staat hilflos zusieht, wie nicht genehmigte Kundgebungen zu „Spaziergängen“ umdefiniert werden und Coronaleugner eigene Schulen organisieren, um die Regeln zu umgehen. Hier darf der Rechtstaat niemals naiv sein.

Schluss mit „Appeasement-Politik!“

Es gilt, was der Philosoph Karl Popper in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ sagt: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“

Es ist deshalb an der Zeit, dass unser Staat klare Grenzen aufzeigt, anstatt zu versuchen, mit falschem Appeasement auf den Angriff der Corona-Leugner zu reagieren. – Katharina Schulze

Konkrete Maßnahmen

Eine gut ausgestattete Polizei muss mit einer lageangepassten Einsatzstrategie die Auflagen von Ordnungsbehörden bei diesen Versammlungen kontrollieren und bei Verstoß sofort ahnden.

Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten müssen durch ein konsequentes Einschreiten der Polizei unterbunden werden.

Sicherheitsbehörden müssen die Gruppen der Coronaleugner intensiv beobachten und alle Querverbindungen in die rechtsextreme Szene im Blick haben. Dafür braucht es ausreichende Ressourcen, insbesondere im Bereich der operativen Aufklärung und Ermittlung im Internet.

Das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz muss schleunigst auch auf Messengerdienste wie Telegram ausgeweitet werden.

Repression alleine wird nicht helfen

Klar ist aber auch: Der Hass, den die Querdenker auf die Straße tragen, ist mit polizeilichen Mitteln alleine nicht zu lösen. – Katharina Schulze

Es braucht Programme zur Bekämpfung von Verschwörungsmythen und Strategien zur Radikalisierungsprävention. Prävention und Repression müssen Hand in Hand gehen.

Es gibt viele konkrete Maßnahmen, die unsere wehrhafte Demokratie gegen Demokratiezerstörer in die Hand nehmen kann. Sie sollte es aber auch tun.